Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
von außen aussah. Die Höhle wurde von Blickfängern erhellt, leuchtenden Kugeln, die unter der Decke schwebten.
Wir standen in einem normalen menschengroßen Wohnzimmer mit Ledersofa und -sessel, schweren alten Beistelltischen aus Walnussholz und einem Bücherregal. Doch da, wo die rückwärtige Wand hätte sein sollen, endete der geflieste Boden am Rand eines Abgrunds. Ich konnte eine Treppe sehen, die in die Tiefe der Höhle hinabführte.
Der Boden verlor sich unter waberndem Nebel.
Da unten war gewiss reichlich Platz für Smoky, sich in seiner Drachengestalt zu bewegen, und das Plätschern von Wasser sagte mir, dass ein unterirdischer Fluss die felsigen Tiefen durchzog. Und wenn ich mich nicht irrte, gab es da unten sogar einen Wasserfall.
Ich wich vom Rand zurück und suchte nach Hinweisen auf eine Küche oder ein Schlafzimmer, sah aber nur zwei Türen, je eine zu beiden Seiten des Wohnzimmers.
»Hier wohnst du also«, sagte ich lahm, um das Schweigen zu brechen. Was sollte man schon sagen, wenn man von einem Drachen in seine Höhle gelockt wurde und nun so lange dort eingeschlossen war, bis er bereit war, einen wieder gehen zu lassen?
»Ich führe dich gern durchs Haus«, sagte Smoky, und sein leises Lachen hallte durch das seltsame Zimmer. »Aber zuerst ...« Seine Augen schimmerten, als Diamantstaub in ihnen zu rieseln schien wie Schnee in einer Schneekugel.
»Zuerst ...«, wiederholte ich zitternd. Ein Luftzug aus den Tiefen der Höhle fuhr an mir vorbei, und es wurde plötzlich kalt.
»Zuerst...« Er trat einen Schritt auf mich zu, ohne den Blick von mir zu wenden. Ich wich zurück und konnte kaum mehr atmen.
»Camille, komm.« Er streckte die Hand aus, und ich schluckte meine Furcht herunter.
Der Zwang zu gehorchen war stärker als Angst oder Zweifel, und ich ging langsam auf ihn zu. Als ich bei ihm war, beugte er sich herab und starrte mir direkt in die Augen.
»Jetzt gehörst du mir«, sagte er leise und führte mich dann stumm zu der rechten Tür.
Sie öffnete sich, als wir uns näherten.
Das Zimmer erinnerte mich an das Gemach eines Königs aus längst vergangenen Zeiten. Eine Stufe führte zu einem Himmelbett aus Marmor hinauf, auf dem dicke Matratzen mit silbernen und blauen Kissen und Decken beladen waren. Eine Kommode aus dunklem Walnussholz und ein passender Kleiderschrank zierten eine Wand, und neben einem Alkoven, der von einem hohen, dreiteiligen Wandschirm in japanischem Design vor meinem Blick verborgen wurde, stand ein Schaukelstuhl.
Die Wände waren mit Wandbehängen bedeckt - Szenen von Drachen, die den Himmel beherrschten und Dörfer angriffen, aus Silber- und Goldfäden gewoben.
Ein Schild, der in einer Ecke lehnte, zog meinen Blick auf sich. Er war glänzend poliert, und die Vorderseite bestand aus Lapislázuli und erinnerte mich deshalb eher an einen Wappenschild. Doch er hatte eine Aura, die mir sagte, dass er schon große Schlachten erlebt hatte. Er fühlte sich noch älter an als Smoky, älter sogar als Königin Asteria.
In der Mitte war ein Drachen eingraviert, der über die Schulter blickte, und aus seinem Maul schössen neun silberne Sterne in den Himmel. Oberhalb des Drachen kreuzten sich zwei Klingen, und unter ihm fielen neun silberne Schneeflocken vom Himmel herab. Der Schild war in eine breite silberne Umrandung eingefasst, und zwei Linien aus silbernen Intarsien umschlangen einander in einem Knotenmuster auf der linken Seite des Drachen.
Langsam näherte ich mich dem Schild und streckte die Hand danach aus, ohne ihn jedoch zu berühren. Die Jahre rollten wie Wogen von dem Schild auf mich zu, zehn Jahrtausende und mehr. Seit über zehntausend Jahren wachte dieser Schild. Alles das entfaltete sich in meinem Geist, während ich ihn anstarrte.
Smoky stützte das Kinn auf meinen Kopf und legte die Arme über meine Schultern.
»Das ist mein Familienwappen, der Schild meiner Familie.«
Ich schluckte, als mir plötzlich klar wurde, dass er mich in sein persönliches Leben einlud - eine seltene Ehre bei einem Drachen. »Er hat viele Schlachten gesehen, nicht wahr?« Ich sprach absichtlich leise und zögerlich. Ich wollte ihn nicht zu sehr bedrängen, nicht zu viel fragen.
»Ja«, antwortete er. »Mein Vater hat ihn getragen, und sein Vater vor ihm. Und eines Tages werde vielleicht auch ich damit in die Schlacht ziehen. Ich bin der neunte Sohn eines neunten Sohnes eines neunten Sohnes. Ich trage die Geschichte der Familie in meinem Blut, in meiner Erinnerung. In
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