Schwestern des Mondes 06 - Vampirliebe-09.06.13
gekauft und mit hierhergebracht.« Alle starrten ihn an. Morio nickte. Camille und Delilah wirkten ein wenig schockiert. Rozurial hörte einfach nur zu.
»Hattest du denn vor, sie zu behalten?«, fragte ich. »Nein, eigentlich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ursprünglich wollte ich sie vor einer Kirchentür ablegen, doch dann wurde mir klar, dass ihre halb dämonische Natur sie zum Untergang verurteilte, weil die Menschen versuchen würden, sie als Ihresgleichen großzuziehen. Sie würde entweder in einer Irrenanstalt landen oder im Gefängnis. Also habe ich ein Kindermädchen eingestellt und sie selbst großgezogen. Für mich ist sie wie meine eigene Tochter. Kim ist stumm; sie hat noch nie ein Wort gesprochen, und wir wissen nicht, warum. Der Heiler, den ich für sie engagiert habe, glaubt, es könnte an einer genetischen Mutation aufgrund ihrer gemischten Abstammung liegen. Aber sie beherrscht die Zeichensprache und hört ganz normal. Ich ermuntere sie schon lange, aufs College zu gehen, aber sie bleibt lieber zu Hause und kümmert sich um die Wohnung.«
Kim sah alt genug aus, um seine Frau zu sein, doch falls er solche Gedanken ihr gegenüber hegte, waren sie ihm jedenfalls nicht anzumerken.
»Über welches Gebiet braucht ihr denn Informationen? Die Stadt als Ganzes oder ein bestimmtes Viertel?« Carter trank seinen Tee aus, erhob sich und trat an ein Bücherregal, wo er den Blick über die Titel gleiten ließ, bis er ein großes, in Leder gebundenes Buch herausholte. Er schlug es auf und legte es auf den Couchtisch. Das Buch war ein Atlas voller Hologramme. Stadtpläne von Seattle. Zweifellos magisch.
Ich nannte ihm die nächste Straßenkreuzung bei Harolds Haus. Mehr brauchte Carter im Moment nicht zu wissen. Er schien in Ordnung zu sein, aber ich fragte mich, warum er sich dafür entschieden hatte, Erdseits zu leben, und das so lange. Man konnte nie wissen. Bei Dämonen durfte man einfach keinerlei unnötiges Risiko eingehen.
Carter betrachtete den Stadtplan und strich mit dem Zeigefinger an Straßen entlang. Dann hielt er inne, betrachtete die Seite mit einem eigenartigen Stirnrunzeln und humpelte zu einem Aktenschrank neben seinem Schreibtisch. Er sah eine breite Reihe säuberlich aufgehängter Mappen durch, holte eine heraus, kehrte damit zu seinem Stuhl zurück und reichte mir die Akte.
»Ich glaube, diese Unterlagen müssten die gewünschte Information enthalten«, sagte er und presste grimmig die Lippen zusammen. »Ich habe das Gefühl, dass du nach einem bestimmten Namen suchst, und auch den wirst du vermutlich darin finden.«
Ich schlug die Mappe auf den Knien auf, und Camille und Delilah spähten mir über die Schultern. Der Hefter enthielt säuberlich getippte Berichte, alte Zeitungsausschnitte - ein paar davon aus dem Seattle Tattler , fiel mir auf - und einige wenige Fotos. Ich blätterte rasch die Akte durch.
Zwei Fotos von etwas, das aussah wie ein rotäugiger, gehörnter Troll und offenbar in einer winzigen Parkanlage herumwühlte. Ein verschwommenes Foto, das an die Ghule erinnerte, denen wir eben auf dem Friedhof begegnet waren, nur dass diese hier durch einen Garten liefen und - hallo? Was war denn das? Ein Foto von Harolds Haus mit einer dunklen Wolke darüber. Allerdings war das gar keine Wolke, sondern irgendeine Art dämonische Ausdünstung. Obwohl das Foto ein Datum von vor zwanzig Jahren trug, konnte ich spüren, wie die Aura dieses Nebels noch von dem Foto ausstrahlte.
Langsam reichte ich das Bild an Camille weiter und nahm mir den dicken Teil mit den Berichten vor. Ich überflog sie und sah, dass auf jedem Dokument Datum, Adresse und Art der Beobachtung festgehalten waren. Harolds Adresse tauchte auf sieben Seiten auf, und die Daten erstreckten sich fast bis 1920 zurück. Die beschriebenen Ereignisse reichten von der Wahrnehmung milder dämonischer Auren bis hin zu einer Periode in den sechziger Jahren, in denen derjenige, der diese Aufzeichnungen gemacht hatte, eine Häufung magischer Spannungsspitzen bemerkt hatte. Was mich zu der Frage führte ...
»Carter, warum hast du das alles gesammelt? Diese vielen Berichte?«
Sein Blick huschte zu mir herüber, und seine milde Art fiel von ihm ab. Ich blickte plötzlich in einen Strudel wirbelnder Farben und verlor mich rasch darin. Zum ersten Mal seit meinen frühesten Tagen als Vampir rang ich unwillkürlich nach Luft, während ich versuchte, seine Energie von mir zurückzudrängen. Sie überrollte mich wie eine Woge, riss
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