Schwestern des Mondes 07 - Hexenzorn-09.06.13
Zeit war es tief eingesickert und halb vertrocknet, doch es war noch da, noch mit dem Land verhaftet.
»Siehst du?«, fragte Morio.
»Ich sehe es.«
»Dann such die Goshanti.« Er hielt die Arme immer noch über den Kopf erhoben. Ich lenkte die Energie durch meine ausgebreiteten Arme und die Fingerspitzen hinaus und schickte sie auf die Suche nach der Teufelin. Sie kräuselte sich durch die Luft wie Rauch, schraubte sich zwischen den Bäumen hindurch, suchte, tastete, spürte nach der Signatur der Goshanti.
Wie auf Nebelschwaden trug der Dunst meine innere Sicht mit sich, und ich konnte eine Katze sehen, die sich unter einem Farn versteckte, eine Strumpfbandnatter glitt durchs Gras, Insekten und Vögel suchten nach Futter. Und dann hielt der Nebel in einem Ginstergestrüpp inne. Da. Hinter den kräftigen, wuchernden Zweigen war der farbige Wirbel, der die Goshanti anzeigte. Tagsüber zeigte sie sich als Kugel aus Energie, nur nachts konnte sie Gestalt annehmen.
»Ich habe sie«, flüsterte ich. »Geh durch mich.«
Morio zog an den Fäden aus der Schattenwelt, verknüpfte sie mit seiner eigenen Energie und formte den Zauber, der die Teufelin in das Reich zurückschicken würde, aus dem sie gekommen war. Die Kraft schoss an den Fäden und Bändern entlang wie funkelndes Licht. Morio schwankte zur Musik des Reichs der Schatten, die mit der Magie in ihm pulsierte.
Als sie seine Hände erreichte, lenkte er sie in mich hinab, indem er die Arme herabriss und meine Schultern packte.
Der plötzliche Schwall riss auch mich mit in den Tanz. Zusammen stiegen wir in die Astralebene auf, während unsere Körper fest und sicher geerdet blieben. Wir umkreisten einander wie sich paarende Schlangen. Morio lachte kehlig und wild, und seine Freude durchfuhr auch mich. Die Macht der Toten, die Macht dieses dunklen Reiches war so viel mehr als das, wonach sie aussah. Flammen fauchten durch meinen Körper und brachten mich zum Orgasmus.
Morio streichelte mein Kinn und flüsterte: »Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als das Leben selbst, Camille.«
Ich strich mit dem Zeigefinger über seine Lippen. »Ich habe dich erwählt«, sagte ich und spürte, wie seine Zunge meine Fingerspitze umkreiste. »Du bist eine der Lieben meines Lebens, und wir werden immer zusammen sein. Wir sind für alle Ewigkeit gebunden, mein Yokai, und ich würde alles noch einmal ganz genauso machen. Und wenn unsere Zeit gekommen ist, diese Grenze ganz zu überschreiten, werden wir die Tore gemeinsam einrennen, und du wirst mit mir ins Land der silbernen Wasserfälle gehen.«
»Wir sollten uns jetzt um die Goshanti kümmern«, sagte er, und seine Gedanken schmiegten sich an mich wie eine warme Umarmung.
»Benutze mich, führe mich.« Widerstrebend wandte ich mich wieder dem Land zu, obwohl ich nichts lieber getan hätte, als noch eine Weile auf der Astralebene herumzuhängen. Aber wir hatten Wichtigeres zu tun.
Wir passten uns dem Rhythmus der Energie an. Morio tippte mir auf die Schulter, und ich stand auf und führte ihn zu der Goshanti. Ich konnte das Land um mich herum kaum sehen, so strahlend und stark waren die Farben. Zwischen meinen Füßen und meinem Geist bestand kaum noch eine Verbindung, aber Morio stützte mich. Etwas glitt über meine Schuhe hinweg, aber es war nur eine Schlange, und ich achtete nicht weiter darauf.
Und dann hatten wir die Goshanti erreicht. Sie schlief, und in ihrem stillen Schlummer tat sie mir leid. Ich sah ganz deutlich, woraus sie geboren worden war. Ihr Körper, ihre Essenz, war ein Strudel aus Schmerz, Zorn, Kummer und Qual. Tränen liefen mir über die Wangen, während ich sie betrachtete, im Schlaf zusammengerollt wie eine Katze.
»Du armes Ding«, flüsterte ich. »Die Welt kann so krank und kaputt sein, und du bist genauso ihr Opfer wie deine eigene Beute.«
Morio drückte verständnisvoll meine Schulter. »Uns bleibt keine andere Wahl, Camille. Sie wird weitere Unschuldige töten, wenn wir sie einfach hierlassen. Aber wenn wir sie zurück in die Schattenwelt schicken, wird sie andere ihrer Art um sich haben.«
»Können wir sie nicht töten? Sie von ihrem Leid erlösen? Das ist doch kein Leben, so in Hass und Bitterkeit getaucht. Ganz egal, wo man ist.«
Ich hörte mich selbst nicht gern so reden, aber ich an ihrer Stelle wäre lieber tot als eine lebende, leere Hülle. Allein der Schmerz, Tropfen für Tropfen aus den Qualen von Frauen kondensiert, die hier auf grauenvolle Weise ermordet worden waren,
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