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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
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dass Kiefernnadeln und Insekten im Lack klebten.
    »Wem gehört das?«, fragte er.
    Ich weiß bis heute nicht, ob sie meine Erklärung mit der Kinderlähmung geglaubt haben. Womöglich hatten sie schlicht Angst davor zu erfahren, wie alles zusammenhing. Ein Fahrrad zu klauen ist schließlich kein Pappenstiel, und ihre Courage und Moral hatte eindeutig Grenzen. Das Mädchen, dem das Fahrrad gehörte, war die Tochter eines Ingenieurs aus dem Werk. Sie bekam alles. Schlittschuhe mit weißen Stiefeln, deren Schaft bis zu den Waden reichte. Ein Spielhäuschen mit richtigem Herd. Man konnte ihn natürlich nicht einheizen. Aber immerhin. Ja, und dann dieses Fahrrad. Nachdem sie nach Örnsköldsvik gezogen waren, war sie für mich nur noch die mit der Kinderlähmung.
    »Wir waren immer redliche Leute«, sagte meine Mutter, als ob sie meine Gedanken gelesen hätte.
    »Jaja«, erwiderte ich, denn das wusste ich ja. Es war gewissermaßen die Inschrift über ihrem Leben und hätte eigentlich als Wahlspruch auf ihrem Haus stehen müssen.
    »Und wir haben unsere Pflicht getan«, betete sie her.
    »Ja doch«, sagte ich. »Ihr habt immer im Konsum eingekauft und die Sozialdemokraten gewählt.«
    »Nein«, entgegnete sie. »Bei der letzten Wahl nicht.«
    Das Dach stürzte gar nicht ein, komisch.
    »Bist du nicht bei Trost? Was habt ihr dann gewählt?«
    »Thorbjörn«, sagte sie. »Aber das kapierst du bestimmt nicht.«
    Ich kapierte es durchaus. Sie glaubten, Thorbjörn Fälldin würde das Land retten. Er würde die ländlichen Gebiete und kleinen Ortschaften bewahren und am Leben erhalten und uns außerdem vor dem giftigen Abfall der Kernkraftwerke beschützen.
    Nach diesem Bekenntnis, das sie wohl selbst als recht erschütternd empfand, kam sie vom Thema ab und fragte nicht weiter, wovon ich lebte.
    In dieser Nacht konnte ich schlecht schlafen. Ich fragte mich, ob mein Vater ebenfalls wach lag oder ob er so müde war, dass er gar nicht die Kraft hatte, sich zu fürchten. In der Stube, die sie jetzt Wohnzimmer nannten, hatte ich ein Buch aus der Bibliothek gefunden, das ich im Bett las. Es war Ivar Lo-Johanssons Pubertät . Er schrieb, dass er einem überwucherten Waldpfad zu seiner Jugend folge und dass der Wald sein Beichtstuhl und Erlöser sei. Das war sicherlich übertrieben. Wenn man am Schreibtisch sitzt und seine Erinnerungen niederschreibt, können sich die Dinge größer und bedeutungsvoller ausnehmen, als sie in Wirklichkeit waren. Mein Wald. So schrieb er. Der innere Raum, der ihm die Welt geweitet habe.
    Mein Wald war ein Kiefernhang, wo ich ein Fahrrad anstrich und dabei Nadeln und Schalen und kleine Fliegen im Lack kleben blieben. Jetzt schäme ich mich. Nicht wegen des Fahrrads, das ist lange her. Sondern weil ich nun doch über mein eigenes Leben schreibe.

Tresor Sessel Todeswarnung
    Lillemor versuchte mir zu erklären, dass man die Aufmerksamkeit des Finanzamts auf sich lenke, wenn man Jahr für Jahr kein Einkommen versteuere. Man müsse schließlich irgendwelche Einkünfte haben. Ich kümmerte mich nicht darum, denn das war ja wohl bekloppt. Hatte man das Landstreichergesetz denn nicht aufgehoben?
    »Was zum Geier geht es die Behörden an, wie ich lebe? Warum sollten sie Einblick in mein Leben bekommen? Du bezahlst doch Steuern für das, was wir mit den Büchern verdienen, und wir tun so, als ob du das meiste verbrauchen würdest, in Wirklichkeit aber gibst du die Hälfte mir – wen geht das was an?«
    Darauf wusste sie keine Antwort, sondern sagte nur, es sei eben so.
    »Das ist grotesk«, sagte ich. »Ich stehle nicht. Ich morde nicht. Ich hau auch niemandem die Hucke voll. Was wollen die Behörden von mir? Die können mich mal.«
    Lillemor seufzte nur und sagte dunkel: »Mach, was du willst. Mir wird ja nichts passieren.«
    Ich stellte es mir interessant vor zu sehen, was passieren würde. Als aber meine Mutter fragte, wovon ich lebte, sah ich ein, dass ich etwas tun musste. Und so ließ ich mich auf Lillemors Idee ein, das Antiquariat in der Vegagatan zu kaufen. Wir sollten nämlich alle, auch Sune und Musse, im Herbst nach Stockholm ziehen. Irgendwas war mit Sune Wahrheit vorgefallen. Auf der Liste zur Reichstagswahl tauchte er nicht mehr auf, und er bewarb sich von Borlänge weg zu SIDA nach Stockholm.
    Der Inhaber des Antiquariats hieß Apelgren, und wenn er nicht in Konkurs gehen wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu verkaufen. In den vergangenen Jahren war er nicht viel losgeworden, wie er

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