Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Menschheit so sehr in seinem Heute, so eingeschlossen in einem überaus kleinen Raum der Welt gelebt hat wie wir damals. Selbst für Attilas Hunnen muss die Welt größer gewesen sein. Als ich Joseph in Ägypten las, dachte ich, dass es Thomas Mann gelungen war, unseren üppig ausgestatteten Vorraum der Auslöschung in seinem ganzen Luxus zu schildern. Oder schlicht den Totenraum. Wie alle herausragenden Autoren war er seiner Zeit voraus.
Nevil Shutes Das letzte Ufer enthielt ich meinen Eltern vor, denn Kinder haben den Instinkt, ihre Eltern zu schützen. Ich wollte nicht, dass sie läsen, wie die Nordhalbkugel von einer Atombombe verwüstet wird und die Radioaktivität zur Südhalbkugel zieht. Ich selbst machte mir nicht allzu viele Gedanken über eine Auslöschung, sondern war vollauf damit zufrieden, dass der Liter Benzin fünfundsiebzig Öre kostete und Lillemor und ich auf einer geraden, für Holztransporter angelegten Straße zu ihrer Kate preschen und dort unsere Romanhandlung aushecken konnten. Wir wussten, dass das Holz zur Papierfabrik nach Hallstavik gebracht wurde, noch aber war der Wald, in dem Lillemor botanisierte, nicht den Motorsägen zum Opfer gefallen. Wir machten uns keine Gedanken darüber. Ich kann nicht sagen, warum, nur beschreiben, wie wir Vollgas gaben und mit einem Ewigkeitsgefühl aus der Stadt fuhren, wie es auch Vergil empfunden haben muss, als er in den Bucolica die duftenden Haine der Hirten schilderte. Oder beschrieb er in der harten Zivilisation nach dem Bürgerkrieg etwas bald Verlorenes? Ahnte er den Verlust und die Verwüstung, wenn die Ziegen an den Eichenschösslingen nagten und die großen Eichen gefällt wurden, damit daraus Planken für die Schiffe der Kriegsflotten wurden? Eines weiß ich, und das weiß ich sicher, dass ich den ersten Kahlschlag entlang der Straße zur Kate sah. Ich stieg aus und kletterte auf das Schlachtfeld, nur ein kleines Stück weit. Dabei fielen mir ein paar Worte aus den Bucolica ein: »Streuet Laub auf den Boden und schützet mit Schatten die Quellen, Hirten!« Es war aber schon zu spät.
Unser erstes Buch kam im Oktober 1960 heraus. Das mag sich seltsam anhören, da wir es während einiger Urlaubswochen im Sommer desselben Jahres zusammengeschrieben hatten. Damals war es jedoch möglich, dass man im August ein Manuskript abgab, das im Herbst als Buch erschien. Bei uns war es natürlich unsicher. Ich bekam immer noch einen trockenen Mund, wenn ich an Uno Florén dachte. Das Ablehnungsschreiben würde aber Lillemor Troj erhalten, und ich bildete mir ein, dass mir das die Sache erträglich machen würde. Freilich glaubte ich durchaus an unsere Geschichte.
Den Spiralblock mit dem akademischen Quatsch hatten wir in einen Müllsack geworfen, den wir in Hallstavik auskippten. Mir war die Idee gekommen, dass wir etwas über Lillemors Unterhaltungsmilieu in Stockholm schreiben sollten. Damals waren das vor allem Rundfunk und Film. Sie befürchtete, die Leute könnten sich wiedererkennen, und versuchte mich zu bremsen, was aber nicht möglich war.
»Das sollen sie auch, sie sollen sich wiedererkennen«, sagte ich. »Das muss so ofenfrisch sein wie Zimtschnecken aus dem Backrohr. Wetten, die Leute wollen das lesen!«
Es gefiel mir, über sie und andere Frauen zu schreiben, die auf hohen Absätzen und in einer Duftwolke von Chanel Nr. 5 in diesem Milieu umhertrippelten. Sie mussten sich alles gefallen lassen, um es eventuell zu etwas zu bringen. Sie gingen in die Horizontale – oder standen vielmehr vorgebeugt – mit Regisseuren und Produzenten auf Toiletten, und sie weinten in der Einsamkeit eines sommerheißen Stockholms, wenn der Liebhaber mit Frau und Kindern nach Smögen fuhr. Meistens brachten sie es trotzdem nur bis zum Scriptgirl oder zur Sekretärin. Nicht mal die Gewitztesten konnten die Barriere durchbrechen, die männliche Selbstgefälligkeit errichtet hatte. Ich glaube, damals wurden in ganz Schweden Männer in leitender Stellung von kompetenten Frauen, die meist intelligenter waren als ihre Chefs, wie Säuglinge umsorgt. Später sah ich Männer, die vor ihrer Verrentung Chefredakteurssessel und Vorstandsposten innegehabt hatten und von ihrem Berufsleben so vermurkst waren, dass sie nicht mal ein Flugticket bestellen konnten.
Obwohl ich all die überschwänglichen Erzählungen Lillemors über ihr Leben in der Unterhaltungsbranche im Gedächtnis hatte, fiel es mir nicht leicht, eine Geschichte daraus zu machen. Mit Intrigen tat ich mich
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