SdG 05 - Der Tag des Sehers
Murillio.
»Besorg mir ein Lasso. Und ein paar Süßwurzeln.«
»Ich würde ja vorschlagen, dass du dir einen Hammer besorgst«, erwiderte Murillio, »aber da du normalerweise weißt, was du willst, tue ich es nicht.«
In der Ferne erklangen Hörner.
»Beim Atem des Vermummten«, ächzte Coll. »Der Marsch nach Capustan hat begonnen.« Er setzte sich langsam auf. »Wir wollten eigentlich vorausfahren.«
»Wir könnten immer noch im Wagen mitfahren, mein Freund. Könnten Motts Irregulären die Pferde zurückgeben und uns unser Geld zurückholen.«
»Der Wagen ist total überladen.« Coll mühte sich mit schmerzhaft verzogenem Gesicht auf die Beine. »Außerdem hat er was von ›keine Rückerstattung‹ gesagt.«
Murillio warf seinem Kameraden einen schrägen Blick zu. »Ach ja? Und das hat dich nicht das kleinste bisschen misstrauisch gemacht.«
»Sei still.«
»Aber – «
»Murillio, willst du die Wahrheit hören? Der Mann war so schlicht – er hat mir Leid getan, in Ordnung? Und nun hör auf, dumm rumzubrabbeln, und lass uns weitermachen.«
»Coll! Er hat eine Riesensumme für – «
»Genug«, grollte der Ratsherr. »Das Geld ist für das Vorrecht, die verdammten Biester umzubringen – oder dich. Was ziehst du vor?«
»Du kannst sie nicht töten – «
»Dann noch ein Wort, und der gute alte Murillio aus Darujhistan endet auf diesem Hügelhang unter einem Haufen Felsbrocken. Hast du mich verstanden? Gut. Und jetzt gib mir das Lasso und die Süßwurzeln – wir fangen mit dem an, das noch hier ist.«
»Solltest du nicht lieber – «
»Murillio«, sagte Coll warnend.
»Tut mir Leid. Nimm bitte kleine Felsbrocken.«
Die brodelnden Wolken hingen tief über sich hebenden und senkenden Wellen – Wellen, die zwischen zackigen Eisbergen gegeneinander kämpften, Wellen, die pausenlos hin und her wogten, selbst dann noch, wenn sie gegen das zerklüftete Ufer brandeten und Gischt himmelwärts schleuderten. In das donnernde Tosen mischte sich immer wieder ein Knirschen und Knacken und das unablässige Zischen des vom Wind gepeitschten Regens.
»Meine Güte«, murmelte Lady Missgunst.
Die drei Seguleh kauerten auf der windabgewandten Seite eines großen Basaltfelsens und schmierten ihre Waffen mit Fett ein. Es war ein trauriges, verwahrlostes Trio – klatschnass, mit Schlamm verschmiert, die Rüstungen in Fetzen. Kleinere Wunden zogen sich kreuz und quer über ihre Schultern, Arme und Oberschenkel; die tieferen waren grob mit Darmfäden zusammengenäht, die Knoten schwarz und mit geronnenem Blut verkrustet, das im Regen hellrot floss.
Ganz in der Nähe stand Baaljagg auf einer vorspringenden Basalt-Platte. Das Fell der riesigen Wölfin war verfilzt und zu Knäueln verknotet, dazwischen waren immer wieder kahle, verschorfte Stellen zu sehen; aus ihrer rechten Schulter ragte das handlange Stück eines abgebrochenen Speerschafts – drei Tage war das jetzt her, doch das Tier ließ weder Missgunst noch die Seguleh an sich heran. Jetzt starrte die Wölfin mit fiebrigen, leuchtenden Augen unverwandt nach Norden.
Garath lag drei Schritt hinter ihr; er zitterte unkontrolliert, und seine Wunden eiterten, als würde sein Körper weinen, da er selbst es nicht konnte. Er war halb toll vor Schmerzen und Fieber und ließ niemanden – nicht einmal die Wölfin – an sich heran.
Nur Lady Missgunst war – zumindest, was ihre äußere Erscheinung anbelangte – noch immer unberührt von dem schrecklichen Krieg, den sie führten; ja, nicht einmal der peitschende Regen konnte ihr etwas anhaben. Ihre weiße Telaba hatte keinen einzigen Fleck. Ihr offenes schwarzes Haar hing voll und glatt ihren schmalen Rücken hinunter. Ihre Lippen waren mit einem tiefen, vage bedrohlichen Rot bemalt. Die Kohlestriche über ihren Augen enthielten die Farben der Abenddämmerung.
»Meine Güte«, flüsterte sie erneut. »Wie sollen wir Tool nur über … das da … folgen? Und warum ist er nicht ein T’lan Elefant, oder ein T’lan Wal? Dann könnte er uns auf seinem Rücken in einer herrlichen Sänfte tragen! Mit fließend warmem Wasser und praktischen sanitären Einrichtungen…«
Mok erschien an ihrer Seite; der Regen troff von seiner emaillierten Maske. »Ich werde ihn noch stellen«, sagte er.
»Ach, tatsächlich! Und seit wann ist es wichtiger, dich mit ihm zu duellieren, als deine Mission zu erfüllen? Wie werden der Erste oder der Zweite auf solche Wichtigtuerei reagieren?«
»Der Erste ist der Erste, und der Zweite
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