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SdG 07 - Das Haus der Ketten

SdG 07 - Das Haus der Ketten

Titel: SdG 07 - Das Haus der Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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einander schon seit Monaten nicht mehr gesehen! Hahaha!« Er beugte sich näher zu Kalam. »Es ist eine perfekte Ehe. Ich war noch nie glücklicher. Du solltest es auch einmal versuchen.«
    Kalam schenkte sich den Becher ein zweites Mal voll. »Ich brauche etwas zu essen – «
    Aber Iskaral Pustl war verschwunden.
    Der Assassine sah sich amüsiert um.
    Schritte näherten sich draußen auf dem Korridor – Füße, die Sandalen trugen –, dann kam eine alte Frau mit wirren Haaren durch die Tür ins Zimmer gestürzt. Sie stammte ebenfalls aus Dal Hon – was nicht weiter überraschend war. Sie war von Spinnweben bedeckt und schaute sich mit finsteren Blicken um. »Wo ist er? Er war hier, stimmt’s? Ich kann ihn riechen! Der Scheißkerl war hier!«
    Kalam zuckte die Schultern. »Hört, ich bin hungrig – «
    »Sehe ich appetitanregend aus?«, schnappte sie, warf Kalam einen schnellen, abschätzenden Blick zu. »Oho! Aber Ihr tut es!« Sie fing an, den kleinen Raum zu durchsuchen, schnüffelte in den Ecken, kauerte sich hin, um in den Krug zu spähen. »Ich kenne jeden Raum, jedes Versteck«, murmelte sie und schüttelte den Kopf. »Warum auch nicht? Als ich mich verwandelt hatte, war ich überall – «
    »Ihr seid eine Wechselgängerin? Oh, Spinnen …«
    »Oho, was seid Ihr nur für ein Kluger und Großer!«
    »Und warum verwandelt Ihr Euch nicht wieder? Dann könntet Ihr überall suchen – «
    »Wenn ich mich verwandle, bin ich diejenige, die gejagt wird! Oh nein, die alte Mogara ist nicht dumm, auf so etwas wird sie nicht hereinfallen! Ich werde ihn finden! Und Ihr passt auf!«
    Sie huschte aus dem Raum.
    Kalam seufzte. Mit ein wenig Glück würde er nicht lange bei den beiden bleiben müssen.
    »Das war knapp!«, drangen Iskaral Pustls geflüsterte Worte an sein Ohr.
     
    Der Wangenknochen und der Knochenwulst oberhalb der Augenhöhle waren zerschmettert; die Stücke, die noch übrig waren, wurden nur noch von ein paar verwitterten Sehnen und Muskeln an Ort und Stelle gehalten. Wäre Onracks Auge mehr als ein verschrumpelter, mumifizierter Brocken gewesen, hätte es der Elfenbeinsäbel des Tiste Liosan weggerissen.
    Das alles hatte natürlich keinerlei Auswirkungen auf seine Sehkraft, denn seine Sinne existierten im geisterhaften Feuer des Teilann-Rituals – in jener unsichtbaren Aura, die um seinen mitgenommenen Körper herumwaberte und in der Erinnerungen an Vollständigkeit, an Vitalität brannten. Dennoch – als sein Arm abgetrennt worden war, hatte das ein fremdartiges, bedenkliches Gefühl von Widerstreit hervorgerufen, als würde die Wunde in beiden Welten bluten – in der Welt der rituellen Geistgestalt und in der körperlichen Welt. Macht und Ichbewusstsein sickerten davon, und das beschwerte dem T’lan Imass etwas verwirrte Gedanken, ein Unbehagen von flüchtiger … Dürftigkeit.
    Er stand reglos da und schaute zu, wie seine Verwandten ihre Vorbereitungen für das Ritual trafen. Er gehörte jetzt nicht mehr zu ihnen, war nicht mehr in der Lage, seinen Geist mit dem ihren zu verbinden. Aus dieser unangenehmen Tatsache ergab sich in Onracks Gedanken eine merkwürdige Veränderung der Perspektive. Er sah jetzt nur noch ihre Körper – die Geistgestalten waren für ihn unsichtbar geworden.
    Verwelkte Leichname. Grässlich. Bar jeder Erhabenheit, eine Verhöhnung all dessen, was einst edel war. Pflicht und Mut waren belebt worden, und das war alles, was die T’lan Imass waren, was sie Hunderttausende von Jahren lang gewesen waren. Doch ohne eine Wahl wurden Tugenden wie Pflicht und Mut zu leeren, wertlosen Worten. Ohne die Sterblichkeit, die wie ein unsichtbares Schwert über ihren Köpfen schwebte, war jegliche Absicht ohne Bedeutung, ganz egal, welcher Natur eine Tat war – oder welche Begründung dahinter stand. Und das galt für absolut jede Tat.
    Onrack glaubte, dass er – wenn er jetzt den Blick auf seine ehemaligen Verwandten richtete – endlich das sah, was alle diejenigen sahen, die selbst keine T’lan Imass waren, wenn sie diese entsetzlichen untoten Krieger anblickten.
    Eine untergegangene Vergangenheit, die sich weigerte, zu Staub zu zerfallen. Brutale Erinnerungen an Rechtschaffenheit und Unnachgiebigkeit, an einen Eid, der zu Wahnsinn geworden war. Und genau so hat man auch mich gesehen. So werde ich vielleicht immer noch gesehen. Von Trull Sengar. Von diesen Tiste Liosan. Ganz genau so. Wie soll ich mich dann fühlen? Was erwartet man von mir, das ich fühlen soll? Und wann haben

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