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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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stieß es zurück; dahinter war nun ein schmaler Durchgang zu sehen, der sich auf den sonnenbeschienenen Innenhof öffnete. Plötzlich hielten sich deutlich weniger Bürger auf der Straße auf; wie auf ein vorher verabredetes Signal hin, nahm ihre Zahl noch weiter ab, bis nur noch die Wachen in Shurqs Blickfeld zurückblieben.
    »Bringt mich nicht zum Lachen«, murmelte sie leise.
    Und dann kam Gerun Eberict herangeschritten, eine Hand auf dem Knauf des Schwerts an seiner linken Hüfte. Er blieb nicht stehen, sondern trat direkt in den Durchgang. Die Wächter folgten ihm, und als Letzter kam der Offizier, der das Tor hinter sich zuschlug.
    Shurq ging tiefer in das Gässchen hinein, bis sie an eine rostige Leiter kam, die mehr oder weniger gut an dem Gebäude zu ihrer Rechten befestigt war. Sie stieg hinauf, achtete nicht auf das protestierende Knirschen der maroden Befestigungen und des geschwächten Metalls, bis sie das Dach erreicht hatte. Sie kletterte auf dem schrägen Dach nach oben – wobei sie die Stabilität jeder einzelnen Schieferschindel überprüfte, ehe sie ihr Gewicht darauf verlagerte – und dann über die Kante, schlich auf dem Dach vorwärts, bis sie freie Sicht auf den Eingang von Geruns Haus und einen Teil des Hofs hatte. Sie duckte sich so tief es ging, bis nur noch ihre Finger und der obere Teil des Kopfes  – einschließlich der Augen – zu sehen waren. Sollte wirklich jemand unten im Hof zufällig in ihre Richtung schauen, war es höchst unwahrscheinlich, dass er sie bemerkte – zumindest konnte sie sich nicht noch unauffälliger machen.
    Gerun Eberict stand vor der Eingangstür und hörte dem Hauptmann seiner Hausgarde zu, der in aller Ausführlichkeit erzählte, wobei er seine Ausführungen gelegentlich mit Gesten unterstrich, die auf seine Verblüffung hinwiesen.
    Sein Bericht wurde abrupt unterbrochen, als Geruns rechte Hand vorwärts zuckte, und er ihn am Hals packte.
    Selbst aus dieser Entfernung konnte sie sehen, dass das Gesicht des Mannes dunkel anlief, bis es einen fast schon leicht bläulichen Farbton annahm.
    Natürlich würde niemand, der über ein bisschen Mut verfügte, so etwas lange hinnehmen, daher war sie nicht überrascht, als der Hauptmann nach dem Messer griff, das er im Gürtel trug.
    Darauf hatte Gerun nur gewartet; er hielt sein eigenes Messer schon in der Hand und rammte es nun dem Hauptmann knapp unterhalb des Brustbeins bis zum Heft in den Bauch.
    Der Hauptmann sank in sich zusammen. Der Finadd ließ den Hals des Mannes los und schaute zu, wie er auf den Pflastersteinen zusammensackte.
    »Es ist doch nur Geld verschwunden, Gerun«, sagte Shurq leise. »Und dein Bruder, den du schon vor langer Zeit getötet hast. Dein Mangel an Selbstbeherrschung ist erschreckend … für deine anderen Bediensteten, heißt das. Was mich angeht –  nun, für mich ist das kaum mehr als die Bestätigung all meiner Vermutungen.«
    Es würde ein Blutbad geben, wenn nicht heute Nacht, dann nächste Nacht. Die zahllosen Spitzel und Denunzianten in der Stadt – diejenigen, die noch übrig waren – würden zu hektischer Betriebsamkeit getrieben werden, und eine große Jagd auf den Dieb würde beginnen.
    Das alles war ziemlich unerfreulich.
    Mit Geruns Reichtum war der Exodus der mittellosen Stadtbewohner finanziert worden, was bedeutete, dass der größte Teil seiner Opfer Letherii statt Nerek, Tarthenal oder Faraed sein würden. Ja, es konnte sogar sein, dass er überhaupt nur schwerlich Opfer finden würde. Außerdem herrschte Krieg, und es war gut möglich, dass der Finadd sich anderen Aufgaben würde zuwenden müssen. Was bedeutete, dass er binnen kürzester Zeit vor Wut schäumen würde.
    Sie schaute zu, wie Gerun in sein Haus stürmte; seine Wachen huschten hinter ihm her. Dann ließ sie sich auf die Schräge hinunter, rollte sich auf den Rücken und rutschte auf den Rand zu.
    Direkt unterhalb des Daches war ein Balkon -
    Nein, da war keiner mehr.
    Sie fiel, prallte auf eine Wäscheleine, die unter ihrem Gewicht abriss, knallte seitlich gegen einen Sims, der voller Vogelscheiße war, und landete mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen auf einem Abfallhaufen. Wo sie dann auch einige Zeit liegen blieb, ohne sich zu bewegen.
    Das war das Problem mit Städten. Nichts blieb, wie es war. In den letzten Wochen hatte sie den Balkon mindestens ein halbes Dutzend Mal benutzt, wenn sie Geruns Anwesen ausspioniert hatte. Sie hob einen Arm. Dann den zweiten. Zog die Beine an. So weit

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