Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
vorbei, die an kleinen Tischen vor ihren Laptops saßen und pflichtbewusst lernten, dass die Juristerei sowohl ihre erheiternden wie ihre verblödenden Seiten haben kann.
»Manchmal wünschte ich, ich könnte hier auch noch mal studieren«, sagte King.
»Da sind Sie nicht der Einzige. Wenn man mit dem Studieren Geld verdienen würde, hätten wir hier Dauerstudenten en masse.«
Die Bibliothekarin loggte ihn in das System ein und ließ ihn dann allein. King setzte sich vor den Bildschirm und machte sich ans Werk. Die Geschwindigkeit des Computers und die einfache Bedienung des Online-Dienstes machten ihm die Recherche sehr viel leichter als bei den Nachschlagewerken in seinem Büro. Nach mehreren Fehlversuchen fand er, was er suchte: den Namen eines bestimmten Anwalts in Kalifornien. Der Mann war bereits verstorben, weshalb King ihn im jüngsten Branchenverzeichnis nicht hatte finden können. Doch in der Ausgabe von 1974 stand er noch groß und mächtig drin.
Jetzt musste King nur noch verifizieren, dass es sich bei diesem Anwalt wirklich um den von ihm gesuchten Mann handelte, doch das konnte er mit dieser Datenbank nicht. Glücklicherweise wusste er, wo er sich diese Bestätigung holen konnte. Er rief Donald Holmgren an, den pensionierten Pflichtverteidiger, der sich als Erster um Arnold Ramseys Verteidigung gekümmert hatte. Als Holmgren bei der Nennung der Kanzlei und des Anwalts hörbar aufjapste, hätte King am liebsten einen Siegesschrei ausgestoßen.
»Ganz sicher, das ist er«, sagte Holmgren. »Das ist der Mann, der Arnold Ramseys Verteidigung übernahm und diesen merkwürdigen Vergleich aushandelte.«
Als King sein Handy wieder ausschaltete, erschien ihm vieles, das vorher rätselhaft gewesen war, logisch. Dennoch blieb noch einiges im Dunkeln.
Hoffentlich meldet sich Michelle bald mit der Antwort auf meine Frage, dachte er. Wenn ihre Antwort zu der Inschrift in der Zellenwand passt, dann bin ich der Wahrheit wahrscheinlich ganz nah auf der Spur. Und wenn ich mich wirklich nicht getäuscht habe, und das alles stimmt…?
Dieser Gedanke ließ ihm kalte Schauer den Rücken hinablaufen, denn die logische Erklärung hieß, dass es die Dunkelmänner von einem bestimmten Punkt an auf ihn selbst abgesehen hatten.
KAPITEL 63
Als Michelle vor dem Hotel hielt, in dem sie untergebracht war, warf sie einen Blick auf die Schachtel, die auf der Ladefläche ihres Geländewagens stand. Sie enthielt die Unterlagen über Bob Scott, die sie in Joans Zimmer im Cedar gefunden hatten. Michelle nahm die Schachtel mit in ihr Zimmer und beschloss, die Unterlagen sicherheitshalber noch einmal durchzugehen; es war ja möglich, dass Joan etwas übersehen hatte. Sie machte sich gleich ans Werk und stellte fest, dass Joans Aufzeichnungen ebenfalls in der Schachtel lagen.
Das unberechenbare Wetter hatte umgeschlagen, und es war wieder kalt geworden. Michelle schichtete Ansteckholz und mehrere größere Scheite in den Kamin und steckte sie mit Hilfe von Streichhölzern und zusammengeknülltem Zeitungspapier an. Dann bestellte sie in der Küche heißen Tee und etwas zu essen. Als das Tablett gebracht wurde, legte Michelle, die Joans Entführung noch nicht vergessen hatte, eine Hand auf ihre Pistole und ließ die Bedienung keine Sekunde lang aus den Augen. Das Zimmer war groß und hübsch, wenngleich so üppig möbliert, dass es Thomas Jefferson ein Lächeln entlockt hätte. Das lustig brennende Feuer trug seinen Teil zu der heiteren, gemütlichen Atmosphäre bei. Allerdings hätte Michelle das Zimmer trotz seiner Annehmlichkeiten des hohen Preises wegen längst aufgeben müssen, hätte der Service ihr nicht angeboten, die Kosten für Unterbringung und Mahlzeiten wenigstens ein paar Tage lang zu übernehmen. Michelle war sich darüber im Klaren, dass dafür eine entsprechende Gegenleistung von ihr erwartet wurde – nämlich eine vernünftige Lösung dieses undurchsichtigen, verrückten Falls. Bestimmt war im Service längst bekannt, dass sie – gemeinsam mit King – schon einige viel versprechende Spuren erkundet hatte. Allerdings war sie nicht so naiv, dass sie die Großzügigkeit ihrer Vorgesetzten falsch interpretiert hätte. Die Übernahme ihrer Spesen war nämlich auch eine fabelhafte Möglichkeit, sie im Auge zu behalten.
Sie setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden, stöpselte ihren Computer in die nagelneu aussehende Online-Steckdose an der Wand hinter dem Schreibtisch im Stil des 18. Jahrhunderts und machte sich
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