Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
die Hand. »Vermutlich sind scharfe Gegenstände aus Glas und Metall hier nicht erlaubt.«
»Morse sieht nicht so aus, als könne er noch Selbstmord begehen. Er kann ja praktisch gar nichts mehr.«
»Man kann nie wissen. Er könnte den Tennisball verschlucken und dran ersticken.« King betrachtete die Fotografien. Eine zeigte zwei Jungen im Teenageralter, und einer der beiden hielt einen Baseballschläger. »Die Brüder Morse«, sagte er. »Im Highschool-Alter, schätze ich.« Er sah sich das nächste Foto an. »Und das dürften ihre Eltern sein.«
Joan trat zu ihm und betrachtete die Fotos ebenfalls. »Die Mutter sieht ziemlich hausbacken aus.«
»Hausbacken, aber reich. Das macht für viele Leute einen gewaltigen Unterschied.«
»Der Vater sah sehr gut aus.«
»Ein prominenter Anwalt, wie gesagt.«
»Die Jungen kamen beide auf den Vater raus«, sagte Joan, nachdem sie das Bild etwas genauer betrachtet hatte. »Sidney war damals schon stämmig, hat aber nett ausgesehen. Und Peter auch… gut gebaut, die gleichen Augen wie sein Bruder.« Ihr fiel die selbstbewusste Pose auf, in der Peter Morse den Baseballschläger hielt. »Wahrscheinlich war er ein Star auf der High School, war mit achtzehn auf dem Höhepunkt seiner Karriere, und danach ging’s nur noch bergab. Drogen und so weiter.«
»Da wäre er nicht der Erste.«
»Wie alt mag er heute sein?«
»Ein bisschen jünger als Sidney, so etwa Anfang fünfzig.«
Joan betrachtete Peters Gesicht. »Ein Ted-Bundy-Typ. Gut aussehend und charmant, doch sobald du nicht aufpasst, schlitzt er dir die Kehle auf.«
»Erinnert mich an gewisse Frauen in meinem Leben.«
In einer Ecke stand eine Schachtel. King durchsuchte den Inhalt und stieß auf zahlreiche vergilbte Zeitungsausschnitte. Die meisten davon befassten sich mit Sidneys eindrucksvoller Karriere.
Joan lugte King über die Schulter. »Nett von seinem Bruder, ihm die Erinnerungen an bessere Zeiten zu überlassen – auch wenn Sidney damit nichts mehr anfangen kann.«
King sagte nichts und blätterte weiter in der Ausschnittsammlung. Dann hob er unvermittelt einen arg zerknitterten Artikel in die Höhe. »Hier geht es um Sidneys frühen Ruhm als Theaterregisseur. Ich erinnere mich, dass er mir davon erzählt hat. Er hat wirklich all diese aufwendigen Produktionen inszeniert – obwohl ich nicht glaube, dass er damit jemals was verdient hat.«
»Na, und wenn schon. Der Sohn einer reichen Mutter kann sich solche Spielereien leisten.«
»Na ja, irgendwann hat er ’s geschmissen und sich eine richtige Brotarbeit gesucht. Wobei man sagen muss, dass er Ritters Wahlkampf auch nicht viel anders als eine Theaterproduktion inszeniert hat.«
»Sonst noch was, bevor wir die ›Spur‹ Sidney Morse offiziell und endgültig zur Sackgasse erklären?«, fragte Joan.
»Wollen wir nicht noch unterm Bett nachsehen?«, fragte King zurück.
Joan sah ihn von oben herab an. »Das ist ein Job für Jungs.«
King seufzte, bückte sich, warf einen vorsichtigen Blick unters Bett und richtete sich schnell wieder auf.
»Und?«, fragte sie.
»Das interessiert dich nicht. Komm, wir gehen.«
Als sie aus dem Zimmer traten, wartete Buddy auf sie.
»Vielen Dank für deine Hilfe, Buddy«, sagte Joan. »Du warst echt Spitze.«
Aufgeregt sah er sie an. »Kuss für Buddy?«
»Ich hab ihm doch schon einen gegeben«, erinnerte sie ihn höflich.
Buddy verzog das Gesicht, als wolle er gleich weinen. »Nein, für diesen Buddy.« Er zeigte auf sich selbst.
Joan klappte der Unterkiefer herunter. Dann warf sie King einen Hilfe suchenden Blick zu.
»Tut mir Leid, das ist ein Job für Mädchen«, sagte er grinsend.
Joan starrte den Mitleid erregenden Zwerg an und fluchte lautlos in sich hinein. Dann packte sie ihn unvermittelt und platzierte einen dicken Schmatzer mitten auf seinen Mund.
Sie drehte sich um, wischte sich über den Mund und machte sich mit den Worten: »Was man für eine Million nicht alles tut!« auf den Weg zum Ausgang.
»Tschüs, Buddy«, sagte King und folgte ihr.
Überglücklich und mit rudernden Armbewegungen winkte Buddy ihnen nach und sagte: »Tschüs, Buddy.«
KAPITEL 39
Das Privatflugzeug landete in Philadelphia, und eine halbe Stunde später näherten sich King und Joan bereits dem Haus von John und Catherine Bruno, das in einem wohlhabenden Vorort an der berühmten Main Line lag. Sie fuhren an efeuumrankten Backsteinbauten und Villen mit großen Gärten vorbei.
King fragte Joan: »Die Familie ist also seit
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