Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
Poststempel stammte aus Wrightsburg; das Datum lag vier Tage zurück. Die Briefmarke war sehr exakt aufgeklebt worden. Als Adresse war in Blockschrift Virgil Dyles von der Wrightsburg Gazette angegeben. In der unteren rechten Ecke des Umschlags war der Kreis mit Fadenkreuz zu erkennen. Auf dem Feld für den Absender stand nichts.
»Das gibt nicht viel her«, sagte Williams, als er den Brief auseinander faltete. »Vielleicht könnte ein Experte etwas dazu sagen, wie die Buchstaben geschrieben sind, wo die Briefmarke aufgeklebt wurde und so weiter, aber mir fällt nichts dazu ein.«
Die Nachricht war in verwaschener schwarzer Tinte geschrieben, ebenfalls in Großbuchstaben, die in exakten horizontalen und vertikalen Reihen angeordnet waren.
»Es liegt am Ninhydrin, dass die Schrift so verwischt ist«, erklärte der Deputy. »Mit der Substanz werden Briefe bedampft, um sie auf Fingerabdrücke zu untersuchen.«
»Danke. Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte Todd Williams gereizt.
Neben den erkennbaren Buchstaben gab es auch andere Zeichen und Symbole, doch auf den ersten Blick ergab die Abfolge keinen Sinn. Todd Williams studierte den Text ein paar Minuten lang, bis er sich schließlich mit einem Seufzer zurücklehnte.
»Sie kennen sich nicht zufällig mit der Entschlüsselung kodierter Botschaften aus?«, fragte er King.
In diesem Moment klopfte Deputy Rogers an – ein einstiger Kollege von King, als dieser eine Zeit lang in Wrightsburg als Polizist gearbeitet hatte – und trat ein. Er hielt mehrere Blätter in der Hand. »Dieses Fax ist gerade für dich hereingekommen, Sean.«
King nahm ihm die Ausdrucke ab und sagte zu Williams: »Jetzt kann ich den Kode knacken.«
Er ging mit dem Brief und den gefaxten Blättern zu einem kleinen Tisch in einer Ecke, setzte sich und machte sich an die Arbeit. Zehn Minuten später blickte er auf.
»Haben Sie es entziffert?«, fragte Williams.
King nickte. »Mir fiel ein, dass ein Lehrer aus Salinas damals den Kode der Briefe des Killers von San Francisco geknackt hatte. Ich habe einen Freund bei der dortigen Polizei, der Zugang zu den Unterlagen hat. Das hier hat er mir gefaxt – den Schlüssel zur Entzifferung. Dadurch war die Sache ziemlich einfach.«
»Und wie lautet die Botschaft?«, fragte Todd Williams und schluckte nervös.
King blickte auf seine Notizen. »Sie enthält jede Menge Rechtschreib- und Grammatikfehler, aber die könnten Absicht sein. Genauso war es beim ursprünglichen Zodiac.«
Deputy Rogers blickte Williams an. »Zodiac?«
»Ein Serienmörder aus Kalifornien«, erklärte Williams. »Lange bevor Sie geboren wurden. Man hat ihn nie gefasst.«
Ein Ausdruck des Entsetzens trat in Rogers’ blaue Augen.
King las die Nachricht vor: »Jetzt habt ihr das Mädchen bestimmt gefunden. Es ist ziemlich kaputt, aber ich war’s nicht. Schneidet sie auf und sucht nach Hinweisen. Werdet keine finden. Glaubt mir. Die Uhr lügt nicht. Sie war numero uno . Aber es kommen noch mehr. Viele. Und noch etwas. Ich bin nicht der Zodiac oder seine Wiedergeburt. Ich bin ich. Aber stellt es euch nicht zu einfach vor. Wenn ich fertig bin, werdet ihr euch wünschen, ich wäre der Zodiac gewesen.«
»Also ist es noch nicht zu Ende«, sagte Todd Williams nachdenklich.
»Ich fürchte, jetzt geht es erst richtig los«, erwiderte King.
KAPITEL 12
Deputy Clancy war groß und kräftig und gab sich alle Mühe, keinen verunsicherten Eindruck zu machen.
»Kommen Sie damit klar?«, fragte Sylvia und musterte ihn aufmerksam. »Nicht, dass Sie mir in Ohnmacht fallen.«
»Ich schaff das schon, Doc«, erwiderte er tapfer.
»Haben Sie schon mal eine obduzierte Leiche gesehen?«
»Na klar«, antwortete er.
»Der Kopf wurde von einer Schrotladung getroffen«, sagte Sylvia und sah dabei auch Michelle an.
Michelle nahm einen tiefen Atemzug. »Ich bin bereit.«
»Das gehört zu meinem Job«, sagte Clancy in dem Versuch, Selbstsicherheit zu verbreiten. »Es trifft sich sogar ganz gut, weil Chief Williams mich nächsten Monat zu einem rechtsmedizinischen Lehrgang schickt.«
»Das ist ein vorbildliches Programm. Sie werden dort eine Menge lernen. Lassen Sie sich von dem, was Sie gleich sehen werden, nicht davon abhalten, den Kurs zu besuchen.«
Sylvia ging zu einer Doppeltür aus rostfreiem Stahl. »Das hier nennen wir inoffiziell unser Gruselkabinett. Hier bewahren wir Leichen auf, die extremen Situationen ausgesetzt waren – Feuer, Explosionen, längerer Verbleib unter Wasser.
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