Sean King 03 - Im Takt des Todes
aufs Bett und starrte zur Tür. Es gab kein Schloss, damit die Patienten sich nicht verbarrikadieren konnten. Das hieß aber auch, dass man niemanden am Hereinkommen hindern konnte, zum Beispiel Barry.
Eine Stunde später erloschen die Lichter, und noch immer schloss Michelle die Augen nicht. Sie wartete auf leise, verstohlene Schritte auf dem Weg zu einem bösen Ziel. Gegen ein Uhr morgens sagte sie sich schließlich: Der Kerl hat nur deinen Arm berührt, du meine Güte, und eine zweideutige Bemerkung gemacht. Kam nun auch noch eine Angstpsychose zu ihren Problemen hinzu?
Probleme? , sagte sie sich dann. Ich habe keine Probleme.
Um zwei Uhr morgens wurde sie von Schritten auf dem Flur geweckt. Langsam setzte sie sich auf und warf einen prüfenden Blick zu Cheryls Bett. Die Strohhalmnucklerin schlief tief und fest. Michelle schlug die Bettdecke zurück und zog ihre Tennisschuhe an. Einen Augenblick später war sie auf dem Gang. In der Nacht hatte nur eine begrenzte Zahl von Angestellten Dienst, und der private Sicherheitsmann musste ein ziemlich großes Revier überwachen und war nicht allzu motiviert.
Michelle folgte den Geräuschen der Schritte einen weiteren Gang hinunter. Sie hörte, wie eine Tür sich öffnete und wieder schloss. Vorsichtig schlich sie näher und versuchte, etwas zu hören. Dann erstarrte sie. Sie vernahm ein weiteres Geräusch, diesmal jedoch hinter ihr. Michelle huschte in einen Quergang.
Einen Moment später kam Barry um die Ecke, der Pfleger mit den Goldkettchen. Er ging geradewegs an Michelles Versteck in dem dunklen Gang vorbei. Kaum war die Luft rein, lief Michelle in ihr Zimmer zurück.
10.
A m nächsten Morgen kehrte Michelle in den Teil des Gebäudes zurück, wo sie in der Nacht Barry gesehen hatte. Zwei Dinge fielen ihr auf: die hübsche, gut gekleidete Frau, die in einem Rollstuhl von einer Krankenschwester aus dem Zimmer gefahren wurde, und die Apotheke am Ende des Gangs.
Später an diesem Nachmittag hatte Michelle eine Sitzung mit Horatio.
»Keine Albträume mehr gestern Nacht?«, erkundigte sich der Psychiater.
»Nein, alles war friedlich. Da ist eine Frau im Rollstuhl am Ende des Patientenflurs im Ostflügel …«
Horatio blickte von seinen Notizen auf. »Ja. Was ist mit ihr?«
»Wer ist sie?«
»Sie gehört nicht zu meinen Patientinnen, und wenn es so wäre, könnte ich Ihnen auch nichts über sie erzählen. Die ärztliche Schweigepflicht, Sie verstehen. Deshalb rede ich auch mit niemandem über Sie .« Grinsend fügte er hinzu: »Es sei denn, man würde mir eine Riesensumme dafür bezahlen. Ich habe meine Prinzipien, aber ich bin nicht blöd.«
»Aber Sean erzählen Sie doch von mir.«
»Ja, weil Sie eine entsprechende Vollmacht erteilt haben.«
»Können Sie mir wenigstens sagen, warum die Frau im Rollstuhl sitzt? Das hat doch nichts mit psychischen Problemen zu tun, oder?«
»Könnte sein. Aber wie ich schon sagte, sie ist nicht meine Patientin. Warum wollen Sie das eigentlich wissen?«
»Ich bin bloß neugierig. Es gibt hier nicht viel Interessantes.«
»Wie wär’s, wenn wir uns jetzt darauf konzentrieren, dass es Ihnen bald wieder besser geht?«
»Okay. Was steht heute auf dem Speiseplan?«
»Kein Salisbury-Steak, aber die Spaghetti sind auch nicht viel besser. Also, gestern haben wir damit aufgehört, dass Sie darüber nachgedacht haben, warum Sie hier sind. Zu welchen Schlussfolgerungen sind Sie gekommen?«
»Zu gar keinen. Ich war beschäftigt.«
»Beschäftigt? Wirklich? Haben Sie nicht gerade noch gesagt, wie langweilig es hier ist?«
»Okay, ich bin hier, weil ich will, dass es mir bald wieder besser geht.«
»Sagen Sie das nur, oder meinen Sie es auch so?«
»Ich weiß nicht, was für eine Antwort Sie hören wollen.«
»Also wirklich, Michelle, das ist reine Zeitverschwendung.«
»Haben Sie das auch Sean gesagt? Dass ich seine Zeit und sein Geld verschwende? Ich weiß, dass er für das alles hier zahlt.«
»Und, bedeutet Ihnen das etwas?«
»Ich weiß, dass er mir zu helfen versucht. Er ist ein netter Kerl. Es ist nur …«
»Ja?«
»Ich glaube, er könnte seine Zeit und sein Geld anderswo besser verwenden.«
»Finden Sie, er soll Sie lieber Ihrem Schicksal überlassen? Werden Sie jetzt melodramatisch? Muss ich das jetzt auch noch auf die Liste der Macken setzen, nach denen ich bei Ihnen suchen muss?« Mit seinem Lächeln gelang es Horatio, die Bemerkung zu entschärfen.
Ein paar Augenblicke lang starrte Michelle zu
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