Sechs, Sieben, Cache! | Ein Hildesheim-Krimi
benutzen, doch heute hatte sie schon zwei Tassen Kaffee getrunken und das Gläschen Sekt beim Gratulieren hatte sie ebenfalls nicht abgelehnt. Sie musste ziemlich dringend. Aber nicht hier. Auf keinen Fall.
Entschlossen trat sie vor die Tür, ging den breiten Gang entlang, an dem Tresen vorbei, an dem die Besucher des Weltkulturerbes ihre Tickets für Führungen kaufen konnten. Sie verließ das Haus, überquerte den Parkplatz und die Straße und betrat die Wiese. Schnell huschte sie hinter das gegenüberstehende Gebäude, das demnächst zu einer Cafeteria umgebaut werden sollte. Sie schaute sich prüfend um, bevor sie sich die Hose herunterzog und hinhockte.
Sie verdrehte die Augen. Erst musste sie so nötig, und jetzt, da es schnell gehen sollte, konnte sie nicht. Sie musste an etwas anderes denken. Sie ließ ihren Blick schweifen und entdeckte unter einem Strauch eine rote Brotdose. Ob die jemand verloren hatte? Sie blickte sich um. Wer außer ihr kam hierher?
Endlich fertig. Sie richtete sich auf, zog sich wieder richtig an und ging zu der Dose hinüber. Sie sah ziemlich neu aus. Bestimmt ein Raucher, wahrscheinlich einer von den Auszubildenden oder Praktikanten. Unter achtzehn durfte hier keiner rauchen. Da war die Geschäftsführung echt streng.
Renate bückte sich und hob die Dose auf. Es klebte ein Schild darauf, dass das aufgedruckte IG-Metall-Logo teilweise verdeckte. „Bitte nicht entfernen. Dieser Behälter gehört zu einem internationalen Spiel. Weitere Informationen finden Sie unter www.Geocaching.com .“
Davon hatte Renate schon gehört. Nicht, dass sie da mitmachen würde. Durch die Plene rennen und Schachteln suchen, das war nicht ihr Ding. Trotzdem reizte es sie, einmal hineinzuschauen. Das konnte ja nicht schaden und würde auch das Spiel für die anderen nicht kaputt machen.
Sie drückte die beiden Verschlüsse hoch und klappte die Schachtel auf. Das Erste, was sie sah, war ein Ohr. Ein menschliches Ohr in einer Plastiktüte. Sie nahm es heraus, betrachtete es, drehte es herum und plötzlich begriff sie, was sie in der Hand hielt. Sie legte das Ohr zurück, markierte die Stelle, an der sie die Dose gefunden hatte, mit ihrem Kugelschreiber und marschierte zurück zum Tresen, wo, wie sie wusste, ein Telefon stand.
14
Alfeld, Dienstag, der 6.9.2011
Es duftete bereits nach Kaffee, als Lisa Grundberg die Treppen ins obere Stockwerk ihrer Dienststelle hinaufstieg. Markus saß mit dem Rücken zu ihr vor seinem Bildschirm, und seine Haltung verriet ihr, dass er nicht halb so gut geschlafen hatte wie sie.
Sie straffte ihre Schultern und beschloss, sich nicht von ihm herunterziehen zu lassen. Noch bevor sie betont fröhlich „Guten Morgen“ rufen konnte, klingelte das Telefon.
Da Markus’ Schultern während des Gesprächs angespannt wirkten, er sich immer weiter nach vorn krümmte, verstand sie sofort, dass sie gleich losfahren würden. Deshalb goss sie sich schnell eine halbe Tasse von dem frisch gebrühten Kaffee ein und trank ihn in kleinen Schlucken.
Nachdem er aufgelegt hatte, sah Markus sie an. Vorwurfsvoll. Wieder einmal.
„Du schlürfst“, sagte er.
„Heiß“, erwiderte sie und trank noch ein Schlückchen.
Er schüttelte den Kopf, als hätte er es mit einem widerborstigen Kind zu tun. Doch dann informierte er sie geschäftsmäßig: „Ein weiteres Körperteil ist aufgetaucht. Im Fagus-Werk.“
Sie nickte. Es gelang ihr, den restlichen Kaffee hinunterzustürzen, bevor Markus seine Jacke angezogen hatte. Sie schob ihm den Autoschlüssel zu. „Wo das Fagus-Werk ist, weiß ich. Du fährst.“
Yilmaz Yildiz, der Hausmeister und Fremdenführer des Fagus-Werkes, wartete vor der Eingangstür auf Lisa und Markus. Lisa vermutete, dass der Pförtner ihn informiert hatte, sobald sie durchs Tor gefahren waren.
Er begrüßte sie freundlich. Scheinbar trug er es ihnen nicht mehr nach, dass sie ihn im letzten Jahr verdächtigt hatten, eine junge Frau ermordet zu haben.
„Hallo, ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen. Hoşgeldiniz, herzlich willkommen.“ Er sah Lisa treuherzig an. „Frage ich mich nur, warum Sie kommen immer nur, wenn böse Dinge geschehen?“
Lisa ging davon aus, dass er nicht wirklich eine Antwort von ihr erwartete. Doch er sah sie abwartend an. Sie räusperte sich.
Markus kam ihr zuvor. „Viel Arbeit, große Familie, wenig Zeit.“
Yildiz nickte verständnisvoll. „Ich auch große Arbeit, jetzt guckt ganze Welt zu.“ Markus lächelte. „Das glaube ich Ihnen
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