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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Ihrer Meinung nach die Justiz zu lasch arbeitet oder an
einer raschen Aufklärung womöglich gar nicht interessiert ist. Ist ja nur
natürlich, dass einem da der Kamm schwillt, nicht wahr? Aber Sie sind auf dem
Holzweg, mein Lieber. Was wäre das anderes als Anarchie, wenn jeder das Recht
in seine eigenen Hände nähme?«
    »Waren Sie etwa mit auf dem Schiff, haben Sie mit
eigenen Augen gesehen, was dort ablief?«, setzte Marsberg Wolfs Anschuldigungen
fort. »Ist Ihnen auch nur eine Sekunde lang in den Sinn gekommen, dass diese
drei Männer vielleicht gar nichts mit Ihrer Schwester gehabt haben? Und wenn
dem so wäre: Wie wollen Sie dann deren Tod verantworten? Aber nein, für Sie
sind die Typen von vornherein schuldig. Was macht Sie da eigentlich so verdammt
sicher?«
    Offenbar hatte Marsbergs Rede einen Nerv getroffen.
Philip Reich war zunehmend unruhiger geworden. Beim letzten Satz konnte er
nicht mehr an sich halten, mit zornigem Gesicht sprang er auf. »Sie reden so
was von Scheiße, Mann! Ich weiß es eben, basta!« Erregt tigerte er hin und her.
»Und damit Sie’s genau wissen: Die sind alle schuldig, alle, ob sie nun mit
meiner Schwester oder einem anderen Mädchen geschlafen haben. Was die alten
Säcke mit denen gemacht haben, ist einfach ekelhaft, die haben sich doch von
den Mädchen bedienen lassen, als wären die ihre Sexsklavinnen!«
    Beim letzten Satz wurde Wolf hellhörig. War es
möglich, dass Philip das Video gesehen hatte? Andererseits … von wem sollte er
es haben? Außer ihnen wusste nur der Brandsachverständige von der Aufnahme.
Sollte Schönwald so unvorsichtig gewesen sein, Beweismaterial über einen
laufenden Fall preiszugeben? Noch dazu an jemand, der in den Fall involviert
war, der als einer der Hauptbetroffenen angesehen werden musste? Schönwald
hatte stets einen so pflichtbewussten, integren Eindruck auf ihn gemacht, dass
er das einfach nicht glauben konnte. Möglicherweise hatte Philip die Filme aber
auch schon vor dem Schiffsbrand gesehen. Dieser
Gedanke war wirklich beunruhigend, denn wenn Philip wirklich alle
Aufzeichnungen kannte, war das ein eindeutiges Tatmotiv. Vielleicht war der
Junge sogar für den Schiffsbrand verantwortlich.
    »Bitte setzen Sie sich wieder«. Marsberg war Wolfs
»Auszeit« nicht entgangen. Mit kaum merkbarem Nicken forderte er ihn auf,
weiterzumachen.
    »Sie wollen damit sagen, Sie haben mit eigenen Augen
gesehen, wie einer der Männer mit Ihrer Schwester geschlafen hat?«, fragte Wolf
rundheraus.
    Philip sah in eine unbestimmte Ferne. »Man muss sich
das mal reinziehen: Tammy war gerade mal fünfzehn, da kommt so ein reicher Sack
und fickt sie … einfach so …«
    Noch eine Sekunde, und er dreht durch, dachte Wolf.
Doch der Junge fing sich wieder. »Grund genug, den Typen umzubringen – sprechen
Sie’s ruhig aus«, versuchte er, ihn aufs Glatteis zu führen.
    Philips Kopf schnellte herum. »Gäbe es einen besseren?
Die Schweine hätten den Tod hundertmal verdient. Aber ich war’s nicht.«
Plötzlich begann er zu schreien: »Herrgott noch mal, ich – war – es – nicht!
Geht das in Ihren Schädel rein?« Nach diesem letzten Aufbäumen sank er kraftlos
auf seinen Stuhl zurück, legte die Arme auf den Tisch und barg sein Gesicht
darin. Es wirkte, als sei er mit Gott und der Welt am Ende. Lautlos begann er
zu schluchzen.
    Marsberg sah Wolf mit hochgezogenen Brauen an, doch
Wolf war sicher: Das war nicht gespielt. Der Widerstand des Schülers war
gebrochen.
    Sorgfältig überlegte er seine nächsten Worte. »Ich
will Ihnen ja gerne glauben, dass Sie nichts mit Trosts Tod zu tun haben.«
Erstaunt hob Marsberg ob dieser Eröffnung den Kopf. »Trotzdem … Sie müssen uns
schon erklären, was Sie unmittelbar nach der Tat in der Abigstraße gemacht
haben. Dass Sie dort waren, werden Sie wohl kaum in Abrede stellen. Oder wollen
Sie unsere beiden Kollegen von der Streife der Falschaussage bezichtigen?«
    Wolf war Psychologe genug, um zu wissen, dass er den
Schüler jetzt nicht drängen durfte. Der kaute derweil mit gesenktem Blick auf
seiner Unterlippe, tausend wirre Gedanken schienen ihm durch den Kopf zu
schießen, während seine Hände fahrig an der Tischkante hin und her glitten. Das
Reden schien ihm schwerzufallen. Endlich gab er sich einen Ruck.
    »Es stimmt, ich war nicht zufällig in der Gegend … ich
wollte mir den Druckereibetrieb ansehen, wollte sehen, wie der feine Herr so
lebt. Ich habe mir sogar überlegt, hineinzugehen und ihn anzusprechen,

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