Seehaie
Wolfs Alter, war jedoch höchstens eins sechzig groß und dabei recht
stämmig. Ihr oblag von Rechts wegen die Untersuchung von Todesfällen mit
unklarem Hintergrund, wozu in aller Regel auch Selbstmorde gehörten. In der
Fachwelt genoss die Pathologin einen exzellenten Ruf, sie war jedoch vor allem
für ihren schwarzen Humor und ihr Temperament bekannt. Wolf und Reichmann
schätzten einander sehr, seit sie sich vor Jahren auf einem Kongress näher
kennengelernt und angefreundet hatten.
»Sieh an, der böse Wolf, der Schrecken aller
Bösewichte!«, begrüßte sie ihn.
»Darf ich Ihre Nachricht so deuten, verehrte Frau
Doktor, dass Sie bei Ploc fündig geworden sind?«, kam er ohne Umschweife auf
den Punkt.
»Sie dürfen.« Auf zwei Edelstahltischen in der Mitte
des Raumes zeichneten sich unter grünem Tuch die Umrisse menschlicher Körper
ab. Dr. Reichmann schlug das Tuch zurück.
»Und? Machen Sie’s nicht so spannend«, drängte er.
»Da kommt Arbeit auf Sie zu. Ich denke, den Selbstmord
können Sie vergessen.«
»Also doch!«
»Klingt fast so, als hätten Sie’s erhofft.«
»Das nun nicht gerade. Der Mann war unvermögend, ja
sogar verschuldet. Keine Lebensversicherung, keine herausragende Position, mit
anderen Worten: nichts zu holen. Demnach auch nichts, was den Verdacht auf eine
kriminelle Handlung nähren würde. Trotzdem, irgendetwas hat nicht gestimmt.«
»Sie mit Ihren Ahnungen! Aber Spaß beiseite: Ich bin,
wie bei Selbsttötungen üblich, von zwei Seiten an die Sache herangegangen.
Zunächst habe ich über eine Rückenmarkpunktion den Serotoninspiegel ermittelt …«
»Serotonin … das ist doch das, was man landläufig
Glückshormon nennt?«
»Korrekt. Allerdings war mir das Glück nicht hold.
Präziser gesagt, ich stellte keinerlei Erhöhung des Serotoninspiegels fest. Das
hätte aber der Fall sein müssen, wenn es sich um Selbstmord gehandelt hätte.
Punkt eins.«
»Woran ist er also wirklich gestorben?«
»Na, na! Sachte mit die jungen Pferde! Punkt zwei, und
der ist noch eindeutiger: Die Untersuchung des Mageninhalts ergab Spuren eines
hochkonzentrierten Toxikums. Hier, sehen Sie selbst.«
Sie führte Wolf zu einem Nebentisch, auf dem unter
einer Plexiglashaube eine Petrischale mit einigen Tropfen einer bräunlichen
Substanz stand. Auf den Tropfen und drum herum waren viele kleine schwarze
Punkte zu erkennen, von denen sich ein paar bewegten.
»Taufliegen«, erläuterte Dr. Reichmann. »Die
meisten waren vor einer Minute noch quicklebendig. Ihr Appetit wurde ihnen zum
Verhängnis. Ihre Nahrung auf der Schale ist nämlich insektizidhaltig. Hier,
schauen Sie nur – inzwischen rührt sich keine mehr.«
»Heißt das …«
»Ja. Der Mageninhalt des Toten enthält ein
hochwirksames Insektengift, vor allem organischen Phosphorsäure-Ester mit ein
paar äußerst unangenehmen Beimengungen.«
»Ein Giftcocktail also …«, mutmaßte Wolf.
»… und deshalb so unbekömmlich, weil er die
todbringende Wirkung der Einzelsubstanzen nicht nur addiert, sondern sogar
potenziert!«
»Ist ja eklig! Bin richtig gespannt, was Sie bei Plocs
Kollegen finden.« Er zeigte auf den zweiten Edelstahltisch.
»Den nehm ich mir gleich vor. Sie können ja bleiben.«
»Leider keine Zeit, Verehrteste. Aber fürs Erste
schönen Dank.« Im Hinausgehen hörte er die Pathologin kichern.
***
Wolf
hatte kurz vor Dienstschluss noch eine Besprechung angesetzt, um die ihnen
bekannten Fakten zu ordnen und die Aufgaben für den kommenden Tag zu verteilen.
Er hatte sich auf Kalfass’ Tischkante niedergelassen, in der rechten Hand
seinen Feierabend-Pastis in einer Kaffeetasse – eine Vorsichtsmaßnahme für den
Fall, dass Patzlaff plötzlich hereinplatzte.
Viel war es nicht, was sie bisher zusammengetragen
hatten. »Also, unstrittig ist bis jetzt lediglich Folgendes: Der Pole Ploc,
Fahrer bei der Hohbau G mb H ,
wurde mit einem Insektizid vergiftet. Um den Mord zu vertuschen bzw. aus
Gründen, die wir noch nicht kennen, täuschten der oder die Täter einen
Selbstmord vor. Soweit klar, Ludger?« Ganz bewusst sprach er Kalfass an, um
dessen anfängliche Zweifel ein für alle Mal auszuräumen.
»Soweit klar. Und ich muss zugeben, dass mich der Tod
des zweiten Fahrers inzwischen auch nachdenklich stimmt, zumindest der
Todeszeitpunkt.«
Donnerwetter, er ist ja doch lernfähig, wunderte sich
Wolf.
»Die Hauptfrage ist und bleibt«, warf Jo ein: » Warum musste Ploc sterben? Haben wir darauf eine Antwort,
wird sie
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