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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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nicht, dass meine Knöchel kaum über den Sitz des Sessels hinausragten, obwohl ich die Beine ganz ausstreckte? Sah er nicht, dass ich meine Ellbogen fast auf Schulterhöhe anheben musste, um sie auf den Armlehnen abzulegen? Doch insgeheim war ich stolz, dass er mich trotzdem einen Mann nannte, mich als ebenbürtig ansah; mir gefiel der Gedanke, dass wir uns in seiner Vorstellung zusammentaten, um es gemeinsam mit dem Leben aufzunehmen.
    Ich war so zufrieden und beschäftigt mit
Männer wie uns
, dass ich über den Rest, den er sagte, nicht weiter nachdachte. Ich hatte sowieso keine Lust, jemals zu heiraten; ich würde immer ein Junge bleiben, herumlaufen, angeln, raufen und auf Coracle-Booten herumschippern. Das war alles, was ich mir wünschte.
     
    «Harvey Newsom ist ein Ekel», sagte Neville Trumbell.
    Wir waren oben am Whistle Top, und das ganze Dorf lag uns zu Füßen. Niemand kam den Pfad herauf. Ein frühlingshafter Wind umwehte uns – vielleicht lag es an seiner Wärme oder dem Geruch nach Seegras und Meersalz, dass ich ihm alles erzählt hatte.
    «Das weiß doch jeder», fuhr Neville fort. «Die Newsoms schmeißen dir alles an den Kopf, Hauptsache, sie können dir eins reinwürgen. Die sind alle so. Du weißt doch, dass ihr Dad sich bei Wholemans jedes Mal mit irgendwem angelegt hat. Deshalb muss er ja jetzt auch zu Hause trinken.»
    «Stimmt.» Ich bewunderte Neville dafür, dass er Harveys Worte einfach so abschütteln konnte und nicht zuließ, dass sie in ihm weiterbrannten. In mir hatten sie nicht mehr aufgehört zu brennen, seit Harvey sie ausgesprochen hatte.
    «Und das mit den Mums weiß auch jeder. Früher waren alle so wie deine, so wie unsere Dads. Alle Männer und Frauen waren gleich und sahen sich ganz ähnlich.»
    «Ehrlich?» Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
    «Ja, ehrlich. Hat dein Dad dir das nicht erzählt? Oder deine Mum vielleicht? Sie war damals natürlich noch nicht hier; dein Dad ist zum Festland gefahren und hat sie geholt. Aber sie kommt aus einer alten Rollrock-Familie – Trencher hieß sie. Sie kannte das hier also alles schon. Damals waren unsere Dads oder sogar unsere Grandpas noch jung. Da gab’s hier noch keine von den anderen Mums. Die waren noch im Meer und waren Meereswesen.»
    Ich blickte hinunter auf die zerwühlte Ansammlung von Puzzleteilchen, aus denen Potshead bestand – auf dem nächstgelegenen Grundstück begann Meehans Kirschbaum gerade zu blühen. Das mit den Müttern hatte ich nicht gewusst; mein ganzes Leben lang hatte ich von dieser früheren, zerstrittenen Welt gehört. Doch irgendwie hatte ich nie richtig zugehört, darüber nachgedacht und eins und eins zusammengezählt.
    «Wo sind die Rothaarigen denn hingegangen?», fragte ich. «Was ist mit ihnen passiert?»
    «Oh, die sind gegangen», sagte Neville. «Sind alle miteinander stinkwütend von der Insel weg.»
    «Worüber waren sie denn so wütend?»
    «Über nichts», sagte Neville. «Sie waren einfach so, sagt mein Dad. Du brauchtest nur
Guten Morgen
zu sagen, und schon sind sie wie wildgewordene Hühner auf dich losgegangen. Sie haben alles und jeden gehasst. Wir können froh sein, dass wir sie los sind, meint er.»
    «Hm», machte ich. «Meine Mum ist aber nicht so.»
    «Ich weiß.» Er hielt einen Grashalm zwischen den zusammengepressten Lippen, so wie einige ältere Männer ihre Pfeife. «Das hab ich auch schon mal zu ihm gesagt.
Dominics Mum ist aber ziemlich friedlich
, hab ich gesagt.
Aber guck dir doch Misskaella an
, hat er gesagt.
Noch feuerröter und fauchender als die kann man doch gar nicht sein.
Er meinte, dass deine Mum keine echte Rothaarige sein kann. Er glaubt, sie hat ein bisschen Robbe in sich.»
    «Glaubst du das auch?»
    «Nein, ich glaub das nicht. Dein Dad hätte sie doch nicht extra von so weit weg hergeholt, wenn er nicht eine echte Rothaarige gewollt hätte, oder? Darum ging’s bei der ganzen Sache.»
    Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte. Ich hatte von dieser ganzen Geschichte keine Ahnung, und mir gefiel gar nicht, dass Mum und Dad bei den Bewohnern von Potshead offenbar ein Tratschthema waren.
    «Außerdem», sagte Neville, und sein Gesicht verzog sich wieder zu einem frechen Jungengrinsen, «find ich den Hintern deiner Mum klasse. Ist ’ne nette Abwechslung, wenn man hinter ihr hergeht, so schön, wie sie damit rumwackelt.»
    Ich sprang mit erhobenen Fäusten auf ihn zu, er wehrte mich lachend ab, und damit war unsere Unterhaltung

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