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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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unserer ganzen Familie antat; sie blickte uns auf die gleiche schüchterne Art an, frei von Feindseligkeit oder Eitelkeit, erwartete weder, dass wir ihr Leid zufügten, noch, dass wir sie willkommen hießen, brauchte nichts davon. Ich wünschte, innerhalb unserer kleinen Gruppe könnte ich sie sein, statt ich selbst, die ich an meine Mum geklammert dastand, oder mein Dad, der zugleich angespannt und schadenfroh darauf wartete, dass Mums Wut über ihn hereinbrach, oder meine Mum, die in meinen Armen bebte wie ein Topf mit geschlossenem Deckel, der jeden Moment aufkochen und überlaufen konnte, das darunter lodernde Feuer auslöschen würde.
    Dad führte das Mädchen an Hand und Ellbogen vorwärts. Sie gaben ein grässliches Brautpaar ab, dort im Eingang ihrer eigenen Kirche, unserem schäbigen Schuppen. Das Meermädchen bewegte sich aufrecht und gelassen wie eine Königin, wie ein Reiher oder eine echte Braut, die einen schweren Schleier hinter sich herzieht.
    Mum und ich wichen auf den Steinplatten vor ihnen zurück. Genauso langsam und steif, wie wir gekommen waren, staksten wir ins Haus zurück, bis in die Küche, zurück zu den Küchenstühlen. Dad schob sein Mädchen den ganzen Weg über wie eine Trophäe vor sich her.
    Und nun konnte ich das Gesicht eines Meermädchens zum ersten Mal richtig und im Lichtschein einer Laterne betrachten. Sie sah nicht durch und durch menschlich aus, was sie nur noch schöner machte. Wie ein Puzzle aus Steinen und Muscheln lagen ihre dunklen Gesichtszüge auf der weichen Haut; ich wollte sie so lange ansehen, bis ich das Puzzle zusammengesetzt hatte. Auf ihrem Mund mit den vollen, geschwungenen Lippen erschien ein zaghaftes Lächeln.
    «Pack deine Sachen, Bet», sagte Mum. «Alles, was du jemals brauchen wirst. Weck deine Schwester und die Jungs und sag ihnen, sie sollen ebenfalls packen.»
    Ich löste mich von Mum und lief ins Schlafzimmer.
    Unsanft rüttelte ich Geedre wach. Im nächsten Augenblick hatte sie schon die Augen aufgerissen, und ich raunte ihr Mums Befehl ins Ohr. «Zünd die Kerze an», sagte sie.
    Die Jungen beschwerten sich mehr, als ich sie weckte, doch sobald sie hörten, was passiert war, machten sie sich still daran, alles zusammenzusuchen, was sie besaßen und tragen konnten.
    «Aber wo gehen wir denn jetzt hin?», fragte Geedre leise, während sie sich umsah und überlegte, was sie mitnehmen sollte. «Und wie lange bleiben wir?»
    «Ich schätze, für immer.»
    Sie starrte mich über die Kerze hinweg an.
    «Zumindest hat Mum so geguckt», fügte ich hinzu. «Also nehmt alles mit, Mäntel, Stiefel, alles.»
    «Dieser
Geruch
!», sagte Byrne wie vom Donner gerührt.
    «Nicht einatmen!», sagte ich. «Halt dir die Nase zu, sonst wirst du verhext. Wär mir auch beinahe passiert.»
    «Nehmt eure Decke mit», sagte Mum, die vor unserer Tür stehen geblieben war, während wir noch packten. «Sophie hat selbst kaum welche.» Dann war sie wieder verschwunden.
    «Sophie?», murmelte Geedre. «Aber wir passen doch nie im Leben alle bei Nase und Sophie rein.»
    «Nase wird nicht da sein», sagte ich tonlos.
    «Sie meint wohl nur für heute Nacht», sagte Snell, «und morgen nehmen wir das Boot.»
    Das brachte uns kurz zum Schweigen. Wir sahen uns einen Augenblick ungläubig an, und im nächsten wurde uns klar, dass er recht hatte. Dann riss Geedre die Decke vom Bett und faltete sie hastig zusammen, als würde sie sie stehlen.
    Wir trugen unsere Bündel zur Eingangstür und blieben mit zerzausten Haaren davor stehen, unsere Sachen fest an uns gedrückt. Der Meeresduft strömte wie eine sanfte Brise aus der Küche durch den Flur. Nase und sein Mädchen saßen am Küchentisch, die Stühle eng aneinandergerückt. Dad hielt seine Robbenfrau auf dem Schoß, als sollte sie einen Schutzschild zwischen ihm und uns bilden, zwischen ihm und Mum. Sie war immer noch nackt und hatte unserem Vater sanft die Arme um die Schultern gelegt.
    Dann trat Mum vom Schlafzimmer in den Flur und verbarg sie vor unseren Blicken. Snell führte Mum mit ihren Bündeln zu uns herüber, und ich warf keinen weiteren Blick in die Küche.
    Mum sah uns der Reihe nach eindringlich an; sie wirkte gleichzeitig todmüde und wie zu neuem Leben erweckt. Dann ging sie zwischen uns hindurch, und wir stellten uns hinter ihr auf. Sie öffnete die Tür, trat auf die Stufe davor, auf die Straße hinunter, und uns blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.

Dominic Mallett
    E in paar von uns Jungs prügelten sich

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