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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie dann wie feuchte kleine Geister. Wenn sie trocken waren, landeten sie in einer Schublade, bis der Tag dämmerte, an dem sich eine Verwendung für sie finden würde. Selbst als ihr Augenlicht nachgelassen hatte, bestand sie darauf, Laufmaschen in Strumpfhosen zu stopfen. Meine Mutter musste sie mit einer eingefädelten Nadel ausstatten, und dann saß sie am Küchentisch, eine Pampelmuse in den Zeh eines löchrigen Strumpfes gequetscht, und flickte; sie fluchte und schrie, wenn sie sich stach, freute sich jedoch innerlich, vierzig Pence zu sparen.
    Mit irgendeiner unergründlichen Methode hatte sie ihren Kostenanteil an dem Essen, das Mutter ihr jede Woche servierte, auf 2,67 Pfund berechnet. Eine so präzise Summe konnte man nicht anfechten. Jeden Sonntag, wenn Mutter den Braten auftischte, stapfte sie in die Küche und zählte Münze für Münze genau diesen Betrag aus ihrem Geldbeutel auf den Tisch, während Mutter seufzte, missbilligende Töne von sich gab und die Kartoffeln zerstampfte.
    Ich hatte nicht Recht gehabt, was Auntie Mim betraf. Sie hatte ihren Schmuck - nichts davon besonders wertvoll Frances vermacht, Clarissa 1000 Pfund und den Rest, der ungefähr 90.000 Pfund betragen würde, Lexi.
    »Wusstest du, dass sie irgendwelche Ersparnisse hatte?«, fragte ich Frances auf dem Weg zum Krematorium. Rad fuhr uns; Nicky und Frances saßen hinten. Die Erwachsenen - Mr. und Mrs. Radley, Onkel Bill und Tante Daphne - fuhren mit dem Renault. Clarissa, ihre Mutter Cecile und Lawrence kamen mit getrennten Taxis. Limousinen gab es nicht.
    »Sie hat ihr Cottage verkauft, bevor sie zu uns gezogen ist, deshalb wusste ich wohl, dass sie etwas haben musste. Aber ich habe nie richtig drüber nachgedacht. Sie sah immer so arm aus.«
    »Reich auszusehen kostet viel Geld«, klärte Nicky uns auf. Die Atmosphäre im Auto war fröhlich: Es sei lächerlich, den Tod einer Dreiundneunzigjährigen zu betrauern, sagte Rad. Wir sollten froh sein, dass sie so lange gelebt hatte. Das war die beste Art Beerdigung, stimmte Nicky zu, als wäre er ein Kenner: Eine, auf der man jemanden ganz groß verabschieden konnte, ohne allzu traurig zu sein. Frances beugte sich zwischen die Vordersitze und stellte das Radio an. Wir waren alle unter einundzwanzig. Wenn unsere Zeit kam, hätte jemand ein Heilmittel entdeckt.
    In der Kapelle schafften wir elf es, die ersten zwei Reihen zu besetzen, indem wir uns ein bisschen breit machten. Lexi nahm dank ihrer Aufmachung sowieso so viel Platz ein wie zwei normale Menschen - schwarze Jacke mit riesigen Schulterpolstern, Schoßjacke, enger schwarzer Rock und ein breitkrempiger Hut, übersät von zitternden Straußenfedern. Frances hatte davon abgebracht werden müssen, die vererbten Perlen zu tragen. Sie zwang Nicky, sich neben Cecile zu setzen, die einen Fuchspelz trug. »Ich will dieses tote Ding nicht berühren«, sagte sie laut.
    Der Gottesdienst war nach einer Viertelstunde vorbei. Lexi hatte den Kaplan angewiesen, es nicht zu lang zu machen. »Sie war dreiundneunzig, also lassen Sie es uns um Himmels willen kurz und vergnügt halten.« Musik gab es keine - wir waren nicht genug Leute für eine Hymne, und die Radleys waren sowieso keine begeisterten Sänger. Der Kaplan raste in flottem Tempo durch die Begräbnisliturgie. Es ist nicht leicht, mit optimistischer Stimme »Wir kommen ohne irdische Güter zur Welt, und wir nehmen nichts mit uns, wenn wir gehen« zu sagen, aber er schaffte es. Er hielt die Rede, für die Lexi ihn mit den notwendigen biografischen Details versorgt hatte, mit solcher Überzeugungskraft, dass ich am Ende fast bereit war zu glauben, er würde Auntie Mim genauso vermissen wie wir.
    Vor der Kapelle waren die Blumengrüße zu unserer Inspektion aufs Gras gelegt worden. Die Direktorin des Beerdigungsinstituts hatte gesagt, wir dürften sie mit nach Hause nehmen, wenn wir wollten. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich keinen Kranz bestellt«, beschwerte sich Cecile. »Dann hätte ich was ausgesucht, das noch als Tischdekoration hätte dienen können.«
    Clarissa bewunderte Lexis Aufmachung. »Mir gefällt die Schoßjacke. Sehr neckisch.«
    »Ach wirklich?« Lexi strich sie über den Hüften glatt. »Ich weiß nicht, ob ich das bin. Ich werde sie wahrscheinlich umtauschen - es sei denn, in den nächsten zwei Tagen stirbt noch jemand.« Und sie stieß ein kehliges Lachen aus.
    Es war das einzige Mal, dass ich je hörte, wie sie versuchte, einen Witz zu machen.
    Zu Hause gab es

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