Seejungfrauen kuesst man nicht
Eltern sich gezwungen, so zu tun, als würden sie mein Verhalten missbilligen, doch obwohl meine Mutter angesichts dieser bisher unvermuteten Neigung zur Aggression in meinem Charakter besorgt war, waren sie hauptsächlich erleichtert.
»Schließlich hat sie ihr nur ein Rattenschwänzchen abgeschnitten«, brachte mein Vater zu meiner Entlastung vor.
5
Mein Mitwirken an der Befreiung der Klasse von Sandras Tyrannei hatte unerwartete Konsequenzen. Ihr ehemaliges Gefolge, das ohne Anführerin nicht weiter wusste, übertrug seine Loyalität auf mich. Nicht weil sie mich mochten oder sich wegen ihrer früheren Unfreundlichkeiten schuldig fühlten, sondern weil sie jetzt Angst vor mir hatten. Es war, als würde die Klasse darauf warten, was ich als Nächstes tun würde. Diese Situation erschien mir kaum angenehmer als die alte. Am Schikaniertwerden hatte ich am meisten gehasst, derart im Mittelpunkt zu stehen; jetzt war ich auffallender denn je, »Das ist die, die dem anderen Mädchen die Haare abgeschnitten hat«, ging ein Flüstern durch die Schule, wohin mein Schatten auch fiel.
Es war mein Glück, dass sich bald etwas anderes bot, das meine Zeit in Anspruch nahm, denn sonst hätte ich mich vielleicht noch in die Rolle der designierten Schultyrannin hineingefunden.
»Wollen wir, dass Abigail ein Musikinstrument erlernt?«, fragte Vater eines Abends beim Tee, während er aus dem Schulrundschreiben vorlas. »Willst du ein Musikinstrument erlernen, Abigail?«
»Ja, das wollen wir ganz sicher«, sagte Mutter. »Was kostet das?«
»Es ist umsonst. Wir müssen bloß dieses Kästchen ankreuzen. Bist du sicher, dass du das willst, Abigail?«, beharrte Vater, während sein Drehbleistift über dem Blatt schwebte. »Dafür muss man viel üben.«
»Natürlich will sie. Ich habe schon immer gesagt, sie ist musikalisch«, sagte Mutter, als wäre diese Tatsache bereits erwiesen. »Such dir etwas aus, was hübsch leise und leicht zu tragen ist, zum Beispiel eine Flöte.«
»Ein Cello?« Die Stimme meiner Mutter hatte einen leicht besorgten Unterton.
»Das war alles, was noch übrig war«, sagte ich. »Cellos und Tubas.«
»Tja, dem Himmel sei Dank für die kleinen Gnaden«, sagte Mutter, als sie das in Segeltuch gekleidete Ungetüm an meiner Seite beäugte.
»Mrs. Allens Klasse ist direkt neben dem Musikschrank, und die waren zuerst dort und haben sich alle Flöten und Geigen genommen, und als wir endlich an der Reihe waren, waren nur noch die großen Sachen übrig.« Ein seltsamer Gedanke, dass meine Karriere auf einem solchen Zufall beruht. »Wir können auch ein anderes Instrument lernen, wenn wir wollen, aber dann müssen wir uns ein eigenes anschaffen. Ich würde lieber Flöte lernen.«
»Das Cello ist prima«, sagte Mutter bestimmt und legte Jacqueline du Pré auf, die im Hintergrund (leise) Elgar spielte, während wir Stangenbohnen schnippelten, nur damit ich wusste, wonach ich streben sollte.
Wie ich dieses Cello hasste - es jede Woche wie einen Leichnam zur Schule zu zerren; es in Busse zu schleppen und wieder heraus, mich errötend zu entschuldigen, wenn ich eine Spur aufgeschürfter Fußknöchel und blauer Schienbeine hinterließ; mit Schlagseite zu laufen, damit es nicht über den Boden kratzte, den freien Arm als Gegengewicht ausgestreckt. Körperlich waren wir ein sehr seltsames Paar - ich: klein, hell und dünn wie eine Flöte, und das Cello: riesig, dunkel und breithüftig. Es war keinesfalls ein neues Modell, sondern oft benutzt und um die Mitte leicht abgewetzt, sodass ich mir Splitter in die Beine zog und eine spezielle Verfügung für mich erlassen werden musste, damit ich - eine weitere Schmach - zum Cellounterricht eine Hose anziehen durfte. Trotzdem beschloss ich, diese Last zu tragen, übte jeden Tag zwanzig Minuten, wie mich die Lehrerin, Mrs. Ede, angewiesen hatte, und setzte meine Eltern Tonleiterkonzerten und Demonstrationen meiner Pizzikatotechnik aus, was sie mit innerer Stärke über sich ergehen ließen. Nach zwei Monaten wurden die kleinen weißen Klebestreifen abgenommen, mit denen die Grundpositionen auf dem Griffbrett markiert worden waren, und hinterließen leichte Klebstoffspuren, die ich noch wochenlang als Anhaltspunkte benutzte. Obwohl ich, wenn es Zeit zum Üben war, stöhnte und jammerte und es bis kurz vor dem Zubettgehen vor mir herschob, sodass es einen Schatten auf den ganzen Tag warf, stellte ich fest, dass es mir, als ich erst einmal richtig zu spielen angefangen hatte,
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