Seejungfrauen kuesst man nicht
Spaß machte und ich die Zeit vergaß. In meinem Versetzungszeugnis lohte Mrs. Ede mein »natürliches Gehör« - die erste schmeichelhafte Bemerkung, die je über meine Ohren gemacht wurde und ich fing an, das gesamte Unterfangen ernster zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich mehr als die Hälfte der Schüler, die sich dafür entschieden hatten, ein Instrument zu erlernen, als desinteressiert oder unfähig erwiesen und das Handtuch geworfen: Der Musiksaal war wieder reichlich mit Flöten bestückt. Doch durch Mrs. Edes Worte ermutigt, blieb ich »dem Monster«, wie es zu Hause genannt wurde, treu. Ich fing sogar an, es mit mehr Respekt zu behandeln, wischte ihm mit einem safranfarbenen Staubtuch das Harz von den Saiten und polierte das Holz mit einem Pflegemittel, bis ich in seinem glänzenden Rücken mein stirnrunzelndes Gesicht sehen konnte.
Nachdem ich zwei Halbjahre lang pflichtbewusst an Tonleitern, Arpeggios und drei leichten Stücken herumgesägt hatte, bestand ich »Stufe Eins« mit Auszeichnung, und meine Berufung kündigte sich an. Als Belohnung und Ansporn für weitere Bemühungen boten meine Eltern mir ein »großes Geschenk« an. Ich entschied mich für Etagenbetten und schlief wie eine Prinzessin in einem Turm im oberen, und das Cello, meine Ersatzschwester, im Bett darunter in einem Plüschtiernest.
6
Sie geht in Schönheit wie die Nacht.
»In Landen warm und Sternenhaar ... bar ... es hat keinen Zweck«, sagte Mrs. Gardiner. »Ich kann ohne meine Brille überhaupt nichts sehen. Du wirst vorlesen müssen, Monica.«
Mittwochabends war Lyrikabend. Meine Mutter hatte einst dem örtlichen Gesangsverein angehört, der sich einmal in der Woche traf, um ein anspruchsloses Repertoire aus populären Werken einzuüben und dann in der Pfarrkirche vor einem Publikum aufzuführen, das sich aus vielen Freunden und Verwandten der Chormitglieder zusammensetzte. Die Ankunft eines neuen, jungen Dirigenten, der ein modernes Element in das Programm einführen wollte - abenteuerliche Stücke voller Schlaginstrumente, Dissonanzen und entnervender Pausen hatte zu Unzufriedenheit und Streit in den Rängen geführt. Schließlich hatte er sich mit der Mitteilung übernommen, dass gewisse Personen im zweiten Sopran Probleme mit den hohen Tönen hatten - eigentlich gar keine Soprane waren und vielleicht die Stimme wechseln sollten. Meine Mutter und ein halbes Dutzend anderer Frauen, die wegen der kürzlichen Erhöhung des jährlichen Mitgliedsbeitrags sowieso bereits verärgert waren, traten geschlossen aus. Sie standen moderner Musik misstrauisch gegenüber, nahmen es übel, von jemandem, der frisch vom College kam, von oben herab behandelt zu werden, und sie wollten verdammt sein, wenn sie im ersten Alt singen würden: Nach all den Jahren einen anderen Ton anschlagen? Nein danke.
Um die Lücke zu füllen, die dieser Aufstand in ihrem kulturellen Leben hinterlassen hatte, beschlossen meine Mutter und die anderen rebellischen Sopranistinnen, ihre Aufmerksamkeit einem anderen Zweig der Künste zuzuwenden. Wie bei der Musik jagten sie, wenn es um Lyrik ging, lieber im Rudel, und an jedem Mittwochabend versammelten sie sich mit einem Sherry in der Hand im Wohnzimmer derjenigen, die an der Reihe war, den anderen ihre Gastfreundschaft zu erweisen, und fieberten der bevorstehenden Jagd entgegen.
Eine der Frauen, Mrs. Davis, die als Bibliothekarin arbeitete und von der einmal ein Gedicht in der Lady , der ältesten Frauenzeitschrift Großbritanniens, veröffentlicht worden war, fungierte als Vorsitzende. Ihre Aufgabe bestand darin, die Gedichte, die vorgelesen werden sollten, mit ein paar Worten über das Leben des Dichters, den historischen Hintergrund und die Bewegung, der er angehörte, vorzustellen. Dichter, schloss ich daraus, kamen nicht einzeln, sondern in Wellen.
Mein Vater, der Lyrik ziemlich gern las, zog sich mit der Pfeife ins Arbeitszimmer zurück, wenn die ersten Besucher die Kieseinfahrt heruntergeknirscht kamen. Ich konnte bei ihnen sitzen oder auch nicht, ganz wie ich wollte, vorausgesetzt ich verhielt mich leise. Normalerweise setzte ich mich dazu, weil ich bei allem, was passierte, immer gern dabei war, und außerdem gab es an Mittwochabenden immer bessere Kekse als sonst.
An diesem speziellen Abend jedoch ging ich bereits nach der Hälfte der Zeit, weil meine Granny, Mutters Mutter, die zu Besuch war, vor Langeweile herumzuzappeln begann. Sie war nicht scharf auf Lyrik, weil sie als Schülerin gezwungen
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