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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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das zu ändern, aber ich wollte nur, dass du weißt, dass es mir leidtut. Unbeschreiblich leid.«
    »Ich verstehe«, sagte sie mit einem Hauch von Enttäuschung in der Stimme, als sei es ihr lieber gewesen, wenn er etwas gesagt hätte, das ihren Zwist angestachelt hätte. Vielleicht war ihr Hass auf ihn eines der wenigen Dinge, die ihrem Leben einen Sinn gaben. »Ich hoffe, du meinst es ehrlich.«
    »Das tue ich.«
    »Hast du angerufen, um mir das zu sagen?«
    »Nein, ich wollte eigentlich gar nicht darüber reden, obwohl es längst überfällig ist.«
    »Was war dann der Grund?«
    »Ich wollte dir nur sagen, dass Rún jetzt eine Therapie macht, um über ihre Trauer hinwegzukommen.« Óðinn konnte einfach nicht »Láras Tod« sagen. »Sie macht einiges durch, schläft schlecht und fühlt sich einfach nicht gut, und ich hoffe, dass ihr das etwas bringt.« Am anderen Ende der Leitung blieb es totenstill, und Óðinn fügte eilig hinzu: »Sie braucht jetzt möglichst viel Ruhe. Deshalb hoffe ich, dass du verstehst, dass sie dich erst mal nicht mehr besuchen kommt.« Wieder nur Stille. »Bist du noch dran?«
    »Ja.«
    »Bitte versteh, dass das nichts mit dir zu tun hat und nur vorübergehend ist.«
    »Eine Therapie ist nicht das, was Rún braucht. Sie braucht dich und mich. Wenn du ein richtiger Vater wärst, würdest du das begreifen. Diese Psychomühle lässt einen nicht mehr los, wenn sie einen erst mal in den Klauen hat. Damit drängst du Rún in eine lebenslange Therapie.«
    »Das ist keine Psychomühle, sondern eine selbständige Psychotherapeutin, eine Frau. Sie ist auf Kinder spezialisiert und würde Rún nie länger behandeln als nötig. Ich habe sie getroffen und kann das besser beurteilen als du.«
    »Du bist so ein Dummkopf«, sagte sie und legte auf.
    Es war ihm lange nicht mehr passiert, dass einfach jemand den Hörer aufgeknallt hatte, nicht mehr, seit Lára gemerkt hatte, wie unfähig ihr Exmann war. Óðinn war zu erstaunt, um sauer oder beleidigt zu sein. Er hatte ja von Anfang an gewusst, dass das Gespräch schlecht ausgehen würde. Wobei er damit gerechnet hatte, dass sie sich über Rúns Besuche streiten würden und nicht weil er versuchte, seiner Tochter zu helfen. Vermutete seine Schwiegermutter vielleicht auch, dass Rún mehr gesehen oder gehört hatte, als sie zugab? Glaubte sie etwa, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte? Sie wohnte in derselben Straße, zwei Häuser weiter, und hätte durchs Fenster sehen können, wie er an dem verhängnisvollen Morgen zu Láras Haus gewankt war. Oder sie hatte gerade Wäsche in die Waschmaschine getan, ihn dabei bemerkt und später gelogen, sie hätte die Wäsche am Abend vorher zu ihrer Tochter gebracht, um nicht zugeben zu müssen, dass sie ihn gesehen hatte. In diesem Fall wäre es völlig verständlich, wenn sie nicht wollte, dass jemand die Erinnerungen ihrer Enkelin auffrischte. Ihre Liebe zu Rún war mit Sicherheit größer als ihr Hass auf Óðinn. Rún würde einen schweren Schock erleiden, wenn sich herausstellte, dass ihr Vater ihre Mutter umgebracht hätte. Aber vielleicht ging auch nur seine Phantasie mit ihm durch – es war nicht so ungewöhnlich, dass sie einfach den Hörer aufknallte.
    Wie gerne würde er sich die Ereignisse jenes Morgens noch einmal ins Gedächtnis rufen. Vielleicht war es möglich, durch Hypnose Erinnerungen zu aktivieren, auch wenn man betrunken gewesen war. Irgendwo im Gehirn waren diese Erinnerungsfetzen, man musste sie nur hervorholen. Je länger Óðinn darüber nachdachte, umso beängstigender war der Gedanke an den Junggesellen – er konnte einfach nicht darauf vertrauen, dass der Mann den Mund hielt, falls etwas Widersprüchliches ans Licht kam.
    Óðinn stand auf. Es gab keine Lösung. Wenn er wirklich etwas mit Láras Tod zu tun gehabt hatte, wollte er es nicht wissen. Vielleicht hatte sein Unbewusstes gemerkt, dass es am besten war, die Erinnerungen wegzusperren und den Schlüssel fortzuwerfen. Und nun versuchte sein Gehirn, sie wieder hervorzuholen, und löste dadurch diese merkwürdigen Halluzinationen aus. Er war nicht dem Tode geweiht. Er musste einfach für sich beschließen, dass er nichts damit zu tun hatte, sich nicht länger den Kopf darüber zerbrechen und die Therapeutin bitten, Rún nicht weiter nach dem Morgen von Láras Sturz zu fragen. Es sei denn, das wäre die Voraussetzung dafür, dass es ihr besserginge.
    »Ich bin fertig.« Rún hielt ihm den Schreibblock und ein Blatt Papier hin, das

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