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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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einen Arzt bitten, Ihnen ein beruhigendes Medikament zu verschreiben. Solche Mittel wirken gut bei Menschen mit Angstzuständen, wie Sie sie beschreiben. Die Sache ist die, dass es in unserer Umgebung alle möglichen Geräusche und Bewegungen gibt, die wir normalerweise ausschalten, weil wir verrückt würden, wenn wir uns von all diesen Reizen beeinflussen ließen. Das ist eine Schutzreaktion, die der Mensch entwickelt hat, als er auf immer engerem Raum mit anderen Menschen zusammenleben musste. Das kennen wir aus Städten und Metropolen. Wir bemerken die Reize um uns herum gar nicht mehr. In Ihrem Fall scheint es mir darum zu gehen, dass Sie seelisch unausgeglichen und deshalb ängstlich und ständig in Habtachtstellung sind. Sie hören und bemerken Dinge, die früher an Ihnen vorbeigerauscht sind. Psychopharmaka können das abmildern. Aber das kann eine Therapie auch.«
    »Kommt nicht in Frage.«
    Óðinn fühlte sich nicht so schlecht, dass er Pillen schlucken oder eine Therapie machen würde. Er wollte nicht ständig in einem dieser stilvollen Büros sitzen und über sich selbst reden. Auch wenn er sich nicht besonders gut auskannte, war er davon überzeugt, dass Psychomittel zahlreiche Nebenwirkungen hatten und süchtig machten.
    »Ich dachte, es gäbe vielleicht noch einen anderen Weg. Hypnose oder so. Etwas, das Sie beherrschen und hier und jetzt anwenden können«, meinte er.
    Nanna lachte kühl.
    »Ich beherrsche einiges, aber ich behandle nur Kinder. In Ihrem Fall würde eine Psychotherapie aus mehr als nur einem einzigen Gespräch bestehen. Der Anlass für diesen Termin ist Rún, nicht Sie. Ausgeschlossen, dass Sie beschwerdefrei hier rausgehen und alles wieder wird wie früher. Aber ich verstehe gut, dass Sie sich das erhofft haben.«
    Óðinn stritt das nicht ab – schließlich musste man sich nicht dafür schämen, seine Beschwerden schnell loswerden zu wollen. Aber das würde wohl nicht geschehen.
    »Glauben Sie, dass ich verrückt werde?«, fragte er.
    »Nein, das glaube ich nicht, aber bitte beachten Sie, dass ich glauben gesagt habe. Ich weiß zu wenig über Sie, um das abschließend beurteilen zu können. Leute werden auf die unterschiedlichsten Weisen verrückt, wie Sie es nennen. Den wenigsten sieht man das an. Aber ich würde mir an Ihrer Stelle keine allzu großen Sorgen machen.«
    Das war nicht die Antwort, die Óðinn sich erhofft hatte – er wollte ein eindeutiges Nein hören.
    »Ich mache mir auch keine allzu großen Sorgen über mich. Ich überlebe das schon, auch wenn ich mich noch eine Weile mit diesen Sinnestäuschungen rumschlagen muss. Rún bereitet mir Sorgen, das wissen Sie ja. Sie spricht zwar nicht viel über ihre Gefühle, aber sie hat oft Albträume, in denen ihre Mutter auftaucht, und macht bestimmt dasselbe durch wie ich. Ich kann ihr dabei nicht wirklichen Halt geben, auch wenn ich es versuche.« Er straffte sich, um nicht schwächer als nötig zu wirken. »Aber ich bin bereit, alles zu tun, was ihr hilft, um sich wieder zu fangen.«
    Außer eine Therapie zu machen. Und Psychomittel zu nehmen.
    »Hat das bei Ihnen beiden gleichzeitig angefangen?«, fragte die Therapeutin und schien ihn zum ersten Mal in diesem Gespräch richtig ernst zu nehmen. Das konnte kein gutes Zeichen sein. »Es ist ziemlich speziell, dass Sie beide Ähnliches erleben, und dann womöglich auch noch zur selben Zeit.«
    »Rún geht es nicht gut, seit sie bei mir ist. Verständlicherweise. Sie hat ihre Mutter verloren. Aber die Probleme sind in letzter Zeit stärker geworden. Vorher hat sie nachts durchgeschlafen und wirkte nicht so verängstigt wie jetzt.« Er überlegte kurz. »Ja, es fing ungefähr zur selben Zeit an.«
    »Hat sich in dieser Zeit etwas bei Ihnen verändert?« Nanna senkte den Blick. »Eine neue Frau in Ihrem Leben zum Beispiel?«
    »Nein, da war nichts.«
    »Und die Arbeit? Haben Sie mehr Druck?«
    Óðinn musste grinsen.
    »Ja, ein bisschen mehr, aber nicht dramatisch. Ich habe endlich ein vernünftiges Projekt bekommen, ich hatte nämlich für meinen Geschmack viel zu wenig zu tun. Das hat sich also ein bisschen geändert, aber zum Positiven.«
    »Kann es sein, dass der Druck größer ist, als Sie zugeben wollen, dass das Einfluss auf Ihre Tochter hat, ohne dass Sie es merken? Nehmen Sie zum Beispiel Arbeit mit nach Hause?«
    »Nein, tue ich nicht. Vorher habe ich mich gelangweilt, und jetzt habe ich ein Projekt, das ich an einem bestimmten Termin abschließen muss. Das ist

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