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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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empfängt.«
    »Und die Strafen der Hölle?«, fragte Clara. »Wie sehen Sie als hoher Geistlicher das?«
    »Es gibt Bilder, und es gibt Visionen, wie die von Fatima vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.« Don Alvaro strich sich über den Bart. »Manche sagen, die Hölle sei ein riesiger Abgrund, andere haben in Visionen einen gigantischen Tunnel gesehen, mehrere Kilometer hoch, in dem die Seelen auf ein riesiges eisernes Tor zufliegen. Ein Tor, das sich nur einmal öffnet und dann wieder schließt. Für immer.« Er schaute nach draußen. »Es gibt Berichte von Forschern, die tief ins Erdinnere vorgedrungen sind, so wie der russische Ingenieur Azzacov. Er hat in Sibirien Bohrungen vorgenommen, fünfzehn Kilometer tief. Irgendwo in diesen Abgründen haben sie Schreie aufgenommen. ›Ich glaube als Kommunist nicht an Gott und das Paradies‹, hat Azzacov gesagt, ›aber seitdem ich die Schreie gehört habe, glaube ich an die Hölle.‹ Dem französischen Meeresforscher Jacques Cousteau ist im Bermudadreieck 1993 etwas Ähnliches passiert.« Er schaute seine beiden Besucher an. »Es gibt diese Aufnahmen tatsächlich. Und was man darauf hört, ist äußerst befremdlich. Es sind tatsächlich Schreie. Nicht von Hunderten, nicht von Tausenden, sondern von Millionen.«
    Er schwieg einen Moment, ehe er nachdenklich fortfuhr: »Befindet die Hölle sich wirklich im Weltinneren? Das wohl nicht. Ist sie jenseits unserer Realität? Das schon eher. Es ist noch kein Lebender dort gewesen, bis auf Jesus Christus, der am zweiten Tag nach seinem Tod am Kreuz, am Karsamstag, zu den Toten herabstieg, wie wir es im Glaubensbekenntnis beten. Descendit ad inferos. Herabgestiegen in das Reich des Todes. Er ist der Einzige, der zurückkam. Alle anderen müssen für immer dort bleiben. Und es dringen auch keine Gebete aus der Hölle. Für alle, die dort sind, gibt es keine Hoffnung mehr.« Alvaro faltete die Hände und wandte sich an Clara. »Aber Sie haben nach den Strafen gefragt.«
    Clara nickte.
    »Nun, es gibt zwei Strafen. Die erste ist das Fern-Sein von Gott. Diejenigen, die sich im Leben bewusst von Gott ferngehalten haben, erfahren diese Ferne auch im Leben nach dem Tod. Die zweite Strafe ist die ewige Höllenqual – das Höllenfeuer, das die Kinder von Fatima in ihrer Vision gesehen haben und in dem die Verdammten schwimmen ohne Schwere und Gleichgewicht, nur unterbrochen von Schmerzens- und Verzweiflungsschreien, von denen es niemals Erlösung gibt.«
    »Bei Dante sind die Tiefen der Hölle aus Eis«, warf MacDeath ein. »Und Satan sitzt dort mit seinen drei Köpfen und kaut auf den Erzsündern der Menschheit herum, zum Beispiel auf Judas Ischariot.«
    »Sehr richtig. Sie kennen Ihren Dante sehr gut.« Alvaro nickte anerkennend. »Dante war Italiener. Für einen Italiener ist die Vorstellung von Eis schlimmer als die von Feuer. Jedenfalls, solange es kein Speiseeis ist.« Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Anders war es bei den Eskimos. Als denen katholische Missionare von der Hölle erzählten, fragten sie: ›Wie kommen wir dorthin?‹«
    Clara und MacDeath lächelten.
    »Jedenfalls, Luzifer hat sich gegen Gott erhoben und wurde in den Abgrund gestürzt. Auch Adam hat sich für die Verheißungen des Teufels entschieden, vom Baum der Erkenntnis gegessen und den Menschen dadurch den Tod gebracht. Der zweite Adam, Jesus Christus, hat den Gehorsam gegenüber Gott gewählt, auch wenn die Treue zu diesem Gehorsam ihn zum Verzicht auf die irdischen Königreiche und zum Tod am Kreuz führte.«
    Clara blickte angestrengt aus dem Fenster. »Dennoch«, sagte sie. »Die Vorstellung einer Hölle, ein Ort der Verzweiflung, ohne Hoffnung und Trost … Wo ist da die ständig besungene Gnade Gottes?«
    »Die Gnade des Herrn wird denen zuteil, die sie sich verdient haben«, erwiderte Alvaro streng. »Und was die Hölle angeht – die kann man sich in der Tat nicht vorstellen, ebenso wenig wie den Himmel. Aber da Sie von Barmherzigkeit sprechen: Stellen Sie sich vor, es gibt die Hölle nicht, und alle gehen ins Paradies ein. Dann wären Sie bis in alle Ewigkeit mit den Verbrechern zusammen, von denen Sie in diesem Leben gequält wurden und die Sie jagen. Keine schöne Vorstellung, nicht wahr?«
    Clara antwortete nicht.
    »Wer beherrscht Ihrer Meinung nach die Hölle?«, fragte MacDeath. »Gibt es eine Art Organigramm, wie man es in Werken aus dem Mittelalter sieht?«
    »Es gibt die drei Herrscher der Hölle«, antwortete Don Alvaro.

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