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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Korrelatoren folgen der Verbindung. Ich bin zuversichtlich. Es geht nur noch darum, die Daten zu verifizieren. Wir haben Prisma gefunden. Aktion!«
    Das Jucken wiederholte sich, wanderte vom linken Ohr durch die linke Kopfhälfte und wurde unangenehm. Wie kratzt man sich im Innern des eigenen Kopfes?, dachte Florence.
    Erasmus sprach seltsam, fand sie, und irgendwie war er auch ein seltsamer Mann, der gewisse Wesenszüge mit Benedict teilte. Vielleicht galt das für alle Lassonder dieser Art, für die Kleinen unter ihnen, mit den dünnen Hälsen und auffallend großen Köpfen. Wenn Erasmus sprach, gewann Florence den Eindruck, dass er mehrere Worte in einem zusammenfasste. So klang es: komprimiert, wie verbale Stenografie. Er sprach, als hätte er nicht viel Zeit, als müsste er innerhalb weniger Sekunden all das zusammenfassen, was es zu sagen galt. Seine Worte, dachte Florence mit einer Klarheit, die sie begrüßte, waren wie die Spitze eines Eisbergs; man musste wissen, dass sich der größte Teil unter der Wasseroberfläche befand, um eine Vorstellung von der wahren Größe zu bekommen. Erasmus kam ihr vor wie jemand, der zu viele Gedanken in einzelne Silben zu packen versuchte. Er war kompetent und energisch, zögerte nicht, wichtige Entscheidungen zu treffen, aber Florence hatte bei ihm – wie auch bei Benedict – das Gefühl, dass er die Dinge nicht unbedingt aus der gleichen Perspektive wie sie sah. Doch er war auch der Mann, der sie zu Zach bringen konnte, und vielleicht fanden sie dann einen Weg zurück zur Foundation.
    Das Jucken wurde fast unerträglich. »Genügt es?«, fragte Florence. »Kann ich die Spange abnehmen?«
    Erasmus betätigte die Kontrollen eines Geräts in seinem Handgelenk, sah zu dem Korrelator und nickte. »Wenn Sie unbedingt wollen … Es wäre besser, wenn wir auch weiterhin direkten Zugriff auf die Verbindung zwischen Ihnen und Zacharias hätten. Aber wir haben Prisma isoliert. Endgültigkeit! Der Kampf wird ein Ende haben. Bald!«
    Florence nahm die Spange ab, und sofort ließ das Jucken nach. »Was ist das?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort ahnte. Ihre ausgestreckte Hand deutete auf das Hologramm.
    »Oh! Verzeihung. Ich dachte, Sie wüssten Bescheid. Versehen! Das ist das Netz der Welten.« Er trat zu einem der Tische, und Florence folgte ihm. Die dort sitzende Operatorin rückte ein wenig zur Seite, sprach die ganze Zeit über leise in ein Kehlkopfmikrofon und rückte gelegentlich ihren Kopfhörer zurecht. Ihre linke Hand steckte in einem Handschuh, der aus einem grauen Hautlappen bestand – ein biologisches Interface.
    Florence betrachtete das Hologramm, das nicht einige Hundert Punkte zeigte, sondern Tausende, vielleicht sogar Millionen, und alle eingesponnen in die Fäden von Verbindungswegen. Erasmus berührte eine Schaltfläche, und in der Mitte der Darstellung leuchtete etwas auf, das Florence an eine Wirbelsäule erinnerte, an ein Rückgrat.
    »Der Hauptstrang«, sagte Erasmus. »Hier sind wir.« Einer der Punkte blinkte, golden wie das filigrane Gespinst der Oberstadt, nicht in der Mitte des Hauptstrangs, sondern an seinem Ende, oder am Anfang. Zahlreiche Fäden gingen von diesem goldenen Punkt aus und verbanden ihn mit anderen in der Nähe, auch mit einigen, die weiter entfernt waren. Keine Galaxis, nein, dachte Florence, denn eine Galaxis hätte Sterne bedeutet, Sonnen mit Planeten. Dies waren Welten, aber keine Planeten, manche von ihnen gewaltige Stadtlandschaften wie Lassonde, andere grüne Hügel inmitten von Wüsten, wie der Ort, an dem Zach und sie Teneker gefunden hatten, in der Hütte, bei Salomo, Kronenberg und den anderen. Fragmente von Träumen, dachte Florence, Bruchstücke von Hoffnungen und Ängsten, wie die Welt von Randolph Amadeus Quint, Splitter von Gedanken, und doch genug, um Teil des Netzes zu werden, um Leben zu beherbergen, das seinerseits dachte und fühlte, und jeder Gedanke, jedes Gefühl schuf neue Welten, eine neue subjektive Wirklichkeit, deren Bewohner …
    Florence schwankte und dachte an fraktale Muster, die sich im Großen wie im Kleinen wiederholten.
    »Stimmt was nicht? Sorge!«, sagte Erasmus.
    »Schon gut«, krächzte Florence. »Die Erde«, hauchte sie. »Die Welt von der ich komme und die Benedict ›Saatwelt‹ nannte … Wo ist die Erde?«
    Erasmus griff nach dem Gerät in seinem Handgelenk und schien kurz zu lauschen. Dann berührte er mehrere Schaltflächen auf dem Tisch. »Dort«, sagte er und streckte die Hand aus.

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