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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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»Das ist die Erde. Entfernung!«
    Ein anderer Punkt glühte, grün wie die Augen des Avatars, mit dem Florence im Wahrheitszentrum gesprochen hatte, und weit unter dem Hauptstrang gelegen. Dieser Punkt gehörte zu einem Schleier, dessen faserige Ausläufer bis zum Hauptstrang reichten und teilweise aus zerfransten Linien bestanden, oder aus hauchdünnen Fäden, die im Nichts endeten.
    »Kampfzonen«, sagte Erasmus, als er Florences Blick bemerkte. »Konfliktbereiche. Dort traten Salomos Weltenbauer gegen unsere Architekten an, oder seine Soldaten gegen Protektor. Verwüstete Welten, manche aus dem Netz gefallen. Kummer!«
    Florence betrachtete die Erde, einen kleinen grünen Punkt in einem viel größeren Netz aus Punkten, eine Welt, die tatsächlich ein Planet war. Als sie sich vorstellte, was das bedeutete, schien sich in ihr eine gewaltige Leere zu öffnen, ein tiefer Abgrund, in den ihre Gedanken fielen wie Vögel, die das Fliegen verlernt hatten. Wieder taumelte sie, und diesmal fasste Erasmus sie sanft an der Schulter. Er sagte etwas, aber seine Stimme verlor sich in einem wortlosen Brummen, das aus jener dunklen Tiefe in ihrem Innern kam, ein Rauschen wie von einem heranziehenden Orkan oder von einem gewaltigen, wogenden Ozean. Wenn stimmte, was Benedict gesagt hatte, wenn die Erde wirklich eine Saatwelt war, geschaffen von Salomo, damit auf ihr Traveller entstanden, die er für seine Zwecke nutzen konnte, wenn die Erde also in dem existierte, das sich Florence bisher immer als Space vorgestellt hatte, als Teil eines denkenden, fühlenden Bewusstseins … Es bedeutete, dass eine solche Welt Platz genug hatte, um ein ganzes Universum zu enthalten. Florence dachte an die Entdeckungen der Astronomie und Kosmologie, an das Alter des Universums, etwa 13,75 Milliarden Jahre, und an das Alter der Erde, etwa 4,6 Milliarden Jahre. All diese Zeit war tatsächlich vergangen – , durch positive oder negative Ereigniswinkel von den anderen Welten mit ihren Zeiten getrennt –, denn sie gehorchte den Gesetzen der betreffenden Mundus, den ihr innewohnenden Entwicklungsregeln, einer inhärenten Kohärenz . Und all die anderen Punkte, all die anderen Mundi … Konnte es sein, dass manche oder gar viele von ihnen weitere Universen enthielten, in denen denkende Lebewesen und denkende Maschinen mit ihren Gedanken neue Welten schufen? Ging es immer so weiter, mit Welten und Weltennetzen im Mikro- und Makrokosmos, bis in die Unendlichkeit?
    »Brauchen Sie etwas zu essen oder zu trinken?«, fragte Erasmus besorgt. »Schwäche!«
    Florence schüttelte den Kopf. Sie hatte eine ausgiebige Mahlzeit hinter sich, und derzeit bestand ihr Problem darin, sie im Magen zu behalten.
    Dann fühlte sie sich unter dem Tarnanzug von etwas berührt, an den Hüften und an den Innenseiten der Beine. Etwas Kaltes schien ihr dort über die Haut zu streichen, und unmittelbar darauf wich die Übelkeit aus ihr.
    »Dieser Anzug …«
    »Er hilft Ihnen, ja? Er funktioniert?«
    »Ja.« Florence atmete tief durch. Was auch immer der Chamäleon-Anzug mit ihr anstellte, es funktionierte tatsächlich. »Was ist damit?«, fragte sie und zeigte auf die ausgedehnten Schleier, die den Hauptstrang und seine peripheren Begleiter auf allen Seiten umgaben. Sie enthielten ebenfalls zahlreiche Punkte, die untereinander verbunden waren, aber es gab auch viele Fäden, die keine Welten erreichten und kleine Knäuel bildeten. Außerdem existierten nur wenige Verbindungen zum Hauptstrang.
    »Das sind die Netze der anderen«, sagte Erasmus. »Fremdartigkeit!«
    »Der anderen?«
    »Es gibt nicht nur uns Menschen«, sagte Erasmus. Vor seinen Augen bildeten sich kleine Hologramme, die ihm nur für ihn bestimmte Daten lieferten, und er schien nicht mehr ganz bei der Sache zu sein, als er fortfuhr: »Vor vielen Jahren, als Protektor noch nicht existierte, sind die reisenden Erkunder von Lassonde auf die ersten Welten der Nichtmenschen gestoßen. Neugier! Forschung! Sie fanden die Netze der Krehel, Miggo, Parihar, Ta-Enick, Claes, Ikatt und anderer Völker, die dort draußen leben, so weit entfernt, dass selbst unsere besten Phasenschwellen uns nicht direkt zu ihnen bringen können. Die Krehel sind unangenehm, denn sie besuchen manchmal unsere Welten am Rand und entführen Menschen.«
    »Sie entführen Menschen?«, fragte Florence entgeistert. Aliens, dachte sie. Lieber Himmel. »Und was machen sie mit ihnen?«
    »Wir haben es nie herausgefunden. Ungewissheit! Über die anderen

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