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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Völker wissen wir noch weniger als über die Krehel. Die Darstellungen, die Sie dort sehen, sind das Ergebnis der Beschreibungen einiger nach langen Reisen zurückgekehrter Erkunder, doch wir wissen nicht, wie genau und zuverlässig sie sind, denn die Heimgekehrten haben den Verstand verloren. Unvernunft!«
    »Sie sind verrückt geworden?« Eigentlich kein Wunder, dachte Florence. Sie waren im Bewusstsein von Außerirdischen unterwegs und dort mit völlig fremdartigen Konzeptualisierungen konfrontiert worden. Einen Moment später erkannte sie die Unsinnigkeit des Begriffs »Außerirdischer« und blieb bei Aliens . Auf der Erde gab es ein Programm namens SETI, das seit vielen Jahren nach außerirdischen Zivilisationen suchte, aber der Erstkontakt hatte hier stattgefunden.
    Ein Signal erklang, und die Biomasse des Tischs, an dem sie standen, gab ein Geräusch von sich, das nach einem Seufzen klang. Florence beobachtete, wie sich die linke Hand der Operatorin im Hautlappen-Handschuh bewegte, und von einem Augenblick zum anderen verschwand das Hologramm der Weltennetze. Bilder erschienen, grünblau und trüb, und zunächst konnte Florence nichts damit anfangen, bis sie plötzlich begriff: Die Bilder stammten von einer Kamera, die sich mit hoher Geschwindigkeit durch tiefes Wasser bewegte, vielleicht durch ein Meer.
    »Telemetrie!«, sagte Erasmus. »Kontakt!«
    Pfeilförmige Geschöpfe huschten vorbei, vielleicht Fische, und das Wasser wurde seichter – der Grund blieb nicht mehr in rabenschwarzer Finsternis verborgen, sondern wurde vom Sonnenlicht erreicht, das weiter oben auf der Wasseroberfläche glitzerte. Ruinen erhoben sich dort, die Reste von Gebäuden, von versunkenen Städten, jetzt die Heimat zahlreicher maritimer Geschöpfe, die Mauern und Dächer mit Korallenkrusten überzogen.
    Welche Stadt war dort überflutet worden?, fragte sich Florence und dachte an die Erde und den ansteigenden Meeresspiegel.
    Stille hatte sich im Situationszentrum ausgebreitet. Die Männer und Frauen in den Overalls und Tarnanzügen, die Operatoren an den Tischen … Einige Sekunden lang rührte sich niemand von ihnen, und alle Blick waren auf die dreidimensionalen Bilder gerichtet. Eszett schien den Atem anzuhalten.
    Die Kamera kam aus dem Wasser und zeigte einen gewaltigen Vulkan, der aus dem Meer ragte und in halber Höhe einen grauweißen Wolkenkranz trug. Der Flug ging weiter, an den Hängen des Vulkans empor. Nach einer halben Minute wurde die Kamera langsamer, und als sie den Kraterrand erreichte, verharrte sie und erlaubte den Beobachtern einen Blick ins Innere des Kraters. Der Zoom holte einen smaragdgrünen See heran, und an seinem Ufer Gebäude aus funkelndem, schimmerndem Kristall, der das Licht der Sonne einfing und wie tausendfach verstärkt reflektierte. Eine dieser Spiegelungen traf die Kamera, und für einen Moment verschwand alles hinter einem Vorhang aus Farben.
    Erasmus’ Finger flogen über die Schaltflächen, und gleichzeitig bewegte sich erneut die Hand der Operatorin im Hautlappen des biologischen Interfaces.
    Plötzlich hatte die Stille in Eszett ein Ende. Die versammelten Legaten jubelten.
    »Prisma!«, riefen sie. »Es ist Prisma!«
    Erasmus wandte sich Florence zu. »Bestätigung, Erfolg!«, stieß er hervor. »Endlich!«
    Er schlang die Arme um Florence und drückte sie an sich, hielt sie dann auf Armeslänge und sagte: »Danke.«
    Sie wölbte beide Brauen. »Nichts zu danken. Und jetzt?«
    »Jetzt«, sagte Erasmus, und sein Gesicht zeigte wieder die für ihn typische energische Entschlossenheit, »bringen wir Sie zu Ihrem Zacharias.«

27
    P rotektor hatte für diesen besonderen Einsatz ein spezielles Portal vorbereitet, eine Phasenschwelle in Oberstadt, auf einer eigens dafür errichteten Plattform, die, von Dutzenden Tauen gehalten und von brummenden Propellern stabilisiert, neben einigen »Trauben« hing. Mehrere Denker aus Oberstadt hatten ihre Beeren-Häuser in den Trauben verlassen: kleine, dürre Gestalten, die Körper wie verschrumpelt und verkümmert, die haarlosen Köpfe so groß, dass sie in Stützgerüsten ruhten. Kabel gingen sowohl von den Körpern als auch von den Schädeln aus, verbanden sie mit den großen Sonnensegeln in der Nähe und den goldenen Strängen, die das Gespinst von Oberstadt bildeten. Die Denker saßen und lagen in individuellen Gondeln, ausgestattet mit Navigationspropellern und kleinen Ballons, die für den nötigen Auftrieb sorgten, doch keiner von ihnen machte von

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