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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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bevölkert«, sagte Marta. Sie stand so nahe, dass Florence ihren Geruch wahrnahm, einen frischen, würzigen Duft, wie in einem Wald nach einem warmen Sommerregen. »Nicht alle Denkmaschinen wurden von menschlichen Gedanken konzipiert. Das Netz verbindet uns miteinander. Wir kommunizieren über die Phasenschwellen hinweg, und wir bauen unsere eigenen Welten.«
    Florence blinzelte. »Ihr baut … Maschinenwelten?«
    »Erschreckt dich das?«
    »Es erschreckt mich nicht, nein«, log Florence, »aber …«
    »Wieder machst du Unterschiede, wo es keine gibt, oder wo es eigentlich keine geben sollte. Spielen Hautfarbe oder körperliche Beschaffenheit bei Menschen eine Rolle?«
    »Das sollte eigentlich nicht der Fall sein, aber …«
    »Spielt es einen Rolle, welchen Körper eine Person hat?«, fuhr Marta fort. »Spielt es eine Rolle, welche Kombination von Substanzen Denken und Fühlen ermöglicht?«
    Florences Gedanken machten einen Sprung, und sie glaubte plötzlich, vor einer wichtigen Erkenntnis zu stehen. »Virtuelle Realitäten, verbunden mit Space-Welten?«
    Marta schüttelte fast traurig den Kopf. »Du suchst nach Definitionen und Kategorien. Du versuchst, das Existierende in den Rahmen deiner Vorstellungen und Maßstäbe zu zwängen. Es ist dein Wunsch, dich zurechtzufinden, dich zu orientieren, den Überblick zu behalten. Aber denk daran: Das Existierende muss sich nicht dir anpassen, sondern umgekehrt. Bisher hast du nur einen Teil von dem gesehen, was du so gern ›Realität‹ nennst. Öffne die Augen, auch die in deinem Innern, und sieh über den Horizont der Welt und der Welten hinaus, in denen du dich bisher bewegt hast.« Marta lächelte. »Wir haben auch Freunde auf der Erde.«
    Das war wie ein Schock, ein mentaler Blitz, der durch Florences Hirn fuhr. Lily, dachte sie und hielt bei den Avataren nach einem androgynen Gesicht Ausschau.
    »Ich habe dich hierhergeholt, weil diese Welt und auch die anderen bedroht sind«, sagte Marta.
    Florence gab die Suche nach Lily auf. »Du meinst Salomo, den Seelenfänger.« Als sie seinen Namen nannte, bewegte sich etwas in ihr, in einem fernen, dunklen Winkel ihres Selbst, und aus ihrem Gedächtnis flüsterte eine Stimme: Denk an mich, sprich meinen Namen. Es folgten Worte, die nicht in Erinnerungen wurzelten: Ich finde dich, ich finde euch alle, und ich bringe euch Freiheit.
    »Ja. Er kam aus dem Nichts, ohne eine Spur, die zurückverfolgt werden kann. Vielleicht kannst du uns helfen, eine solche Spur zu entdecken.«
    Florence, die noch immer auf dem Stuhl saß, sah zur geisterhaften Gestalt des Avatars hoch. »Benedict verspricht sich ebenfalls Hilfe von mir. Der Grund dafür ist mir noch immer nicht ganz klar.«
    Der Avatar musterte sie. »Vielleicht solltest du jetzt deine wichtigste Frage stellen.«
    Zach, dachte Florence sofort. »Eigentlich sind es zwei Fragen. Sie lauten: Kannst du mich zu Zach bringen? Und wie können wir zur Foundation zurückkehren?«
    »Ich stelle fest, dass Salomo in diesen Fragen keine Rolle spielt«, sagte Marta.
    »Er spielt sehr wohl eine Rolle. Zach befindet sich in der Gewalt des Seelenfängers, und ich habe erfahren, dass sie sich in Prisma aufhalten. Prisma ist …«
    »Der geheime Ort, von dem aus Salomo agiert.« Marta nickte. »Das ist uns durchaus bekannt. Wir kennen auch deine Geschichte; der Legat namens Benedict hat sie vor kurzer Zeit zu Protokoll gegeben.« Der Avatar zögerte. »Auf der Erde gibt es Figuren, in denen immer kleiner werdende Figuren stecken …«
    Florence überlegte. »Meinst du Matroschka-Puppen?«
    »Puppen innerhalb von Puppen, ja«, sagte Marta. Ihre Stimme klang jetzt anders, ein wenig geistesabwesend, als wäre die KI mit ihren Gedanken woanders. »Wir denken an Pläne innerhalb von Plänen, verschlungen und ineinander verkeilt wie die Wirklichkeiten, kaum voneinander zu trennen, manche von ihnen nur Schein, der täuschen und ablenken soll. Wir denken an Fallen innerhalb von Fallen, und auch hier gibt es Täuschungen und Ablenkungen. Um festzustellen, ob man alle Puppen hat, muss man sie öffnen, doch wenn man die falsche öffnet, könnte eine sorgfältig vorbereitete Falle zuschnappen. Vorsicht ist geboten.«
    »Du hast meine Fragen noch nicht beantwortet«, sagte Florence.
    »Die Antworten stehen mit deinen Worten über Benedict in Zusammenhang«, erwiderte Marta. Das holografische Bild des Avatars flimmerte kurz, stabilisierte sich dann wieder. »Du kannst Protektor tatsächlich helfen, Prisma zu

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