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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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seiner Mobilität Gebrauch. Aufmerksam beobachteten sie das Geschehen und waren vermutlich auch – über eine Verbindung mit den Denkmaschinen von Lassonde – an der logistischen Planung und der Datenauswertung beteiligt.
    Im hinteren Drittel der Plattform wölbte sich der goldene Bogen des Portals, gefüllt von einem vagen, milchigen Wabern, hinter dem sich, wie durch eine Schicht aus schmutzigem Wasser gesehen, die Konturen einer anderen Welt abzeichneten. Florence beobachtete, wie die ersten Legaten hindurchmarschierten, während andere vor der Phasenschwelle Aufstellung bezogen und auf ihren Transfer warteten. Sie alle waren bewaffnet, und der Ernst in ihren Gesichtern deutete darauf hin, dass sie damit rechneten, in einen Kampf verwickelt zu werden. Florence betrachtete die klobige Waffe in ihrem Gürtelhalfter und fragte sich, ob sie imstande sein würde, davon Gebrauch zu machen, vielleicht sogar jemanden zu erschießen. Sie hoffte, dass sie nicht gezwungen war, diese Frage beantworten zu müssen.
    Erasmus erschien vor ihr, begleitet von einem kleineren Mann, der seinen Tarnanzug bereits aktiviert hatte und dadurch fast unsichtbar war. Nur wenn er sich bewegte, wurden die Umrisse seines Körpers erkennbar; das Gesicht schien mitten in der Luft zu schweben.
    »Dass ich dies erleben darf …«, sagte das Gesicht voller Freude und Stolz. »Den Augenblick des Triumphes nach all den Jahren …«
    »Noch haben wir nicht gesiegt, Benedict. Vorsicht!«, mahnte Erasmus.
    »Diesmal wird er uns nicht entkommen.« Zwei langläufige Waffen erschienen dort, wo sich Benedicts Hüften befanden; er hatte die Hände am Griff und die Zeigefinger am Abzug. »Diesmal erledigen wir ihn.«
    Erasmus richtete einen strengen Blick auf ihn. »Mäßigung! Wir werden versuchen, Salomo lebend zu fangen.«
    »Er wird sich wehren!«
    »Er ist eine kranke Seele. Krank!«, sagte Erasmus. »Wir versuchen, ihn gefangen zu nehmen und zu heilen.«
    »Seine Gedanken sind gefährlich!«
    »Bald nicht mehr. Zuversicht!«, sagte Erasmus und sah sich um. Die aus dreißig Männern und Frauen bestehende Einsatzgruppe stand mit ihren Waffen bereit. Am Rand der Plattform, unter einer besonders eleganten Denker-Gondel, zeigten zwei zitternde Hologramme von Späher-Sonden stammende Bilder: Die bereits transferierten Legaten, lindgrüne Silhouetten in dunkler Nacht, machten sich im Innern des Kraters an den Abstieg.
    Der Denker in der Gondel über den Hologrammen richtete sich halb auf, und seine Stimme hallte über die Plattform. »Dies ist ein großer Moment für Lassonde und das ganze Netz. Unser aller Hoffnung ruht auf Protektor. Erasmus, meine guten Wünsche begleiten Sie und Ihre tapferen Soldaten.« Die Gestalt in der Gondel winkte mit einem dürren Arm. »Ihr alle, geht mit meinem, mit unserem Segen!«
    Erasmus sagte: »Protektor grüßt Lassonde!«
    »Protektor grüßt Lassonde!«, riefen die Versammelten, und es folgte eine Stille, in der man das Stampfen und Brummen der Maschinen von Unterstadt hörte.
    »Kommen Sie, es geht los. Beginn!«, sagte Erasmus. Florence folgte ihm und Benedict an den anderen Männern und Frauen vorbei zum goldenen Bogen. Dort zögerte das Oberhaupt von Protektor kurz und vergewisserte sich noch einmal, dass die Einsatzgruppe bereit war, bevor es durch das milchige Wabern trat.
    »Endlich«, schnaufte Benedict, ergriff Florences Hand und zog sie mit sich durchs Portal.
    Die Kapuze von Florences Tarnanzug hatte sich verfestigt, war zu einer Art Helm geworden, und ein Visier hatte sich ihr vor die Augen geschoben, mit Kontaktpunkten an den Schläfen. Es versetzte sie in die Lage, die anderen Männer und Frauen von Protektor zu sehen: grüne Silhouetten, die lautlos über den dunklen Hang eilten und sich der Stadt unten am See näherten. Zahlreiche Straßenlaternen brannten dort, und ihr Licht spiegelte sich in den kristallenen Wänden der Gebäude wider, schuf bunte Reflexe – Funken schienen in der Nacht zu tanzen.
    Florence hörte Stimmen, die aus kleinen Lautsprechern in der Helmkapuze kamen, direkt neben ihren Ohren. »Keine Aktivität, alles ruhig«, meldete eine dieser Stimmen, und eine andere fügte hinzu: »Keine Fallen, ich wiederhole: keine Fallen. Nicht einer unserer Späher hat Signalschwellen entdeckt.«
    Nur noch einige Dutzend Meter trennten sie vom Rand der bunten, kristallenen Stadt. Das Portal hatte Erasmus, Benedict und Florence hinter einer Felsengruppe abgesetzt, die ihnen Deckung gewährte, und von

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