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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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legten sich Schatten auf ihre Seele.
    Später vertrauten sie sich einem der Korridore an, der sie in ein SensiTheater führte, mit Filmen, an deren Geschehen man mithilfe der Amplis teilnehmen konnte.
    »Kein Horror«, sagte sie zu Manuel, als er ihr einen neuen Amplifikator reichte. »So was gefällt mir gar nicht. Und keine Pornos«, fügte sie hinzu, als sie seinen Blick bemerkte. »So was mag ich nicht aus zweiter Hand. Das Echte ist mir lieber.«
    Er lächelte und nickte, und eine Zeit lang waren sie Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in Casablanca . Sie fuhren in Ben Hurs Streitwagen durch die Arena, erlebten den Untergang der Titanic, nahmen an der Schießerei beim O. K. Corral in Tombstone teil und erreichten als Mitglieder der ersten Landemission den Mars, wo sie feststellten, dass das Gesicht, einst aus der Umlaufbahn fotografiert und für ein besonderes Spiel von Licht und Schatten gehalten, tatsächlich ein Gesicht war, Hunderte von Millionen Jahre alt und eine Hinterlassenschaft von Auswanderern, die eine sterbende Welt verlassen und sich auf der Erde niedergelassen hatten, als Vorfahren des modernen Menschen. Ich möchte ebenfalls weg, dachte Florence, als sie im Innern des riesigen Mahnmals, das in Form eines menschlichen Gesichts in den Himmel des Roten Planeten starrte, vor einer Tafel mit fremden Schriftzeichen stand. Zeigt mir den Weg, damit ich meine Welt verlassen kann. Es war, als wohnten zwei Seelen in ihrem Leib, und die eine warf der anderen Dummheit vor, einen Hang zum Eskapismus, Feigheit vor dem Feind, wobei der Feind die Welt war, die sie umgab, eine Welt, die in der steigenden Flut zu ertrinken drohte.
    »Möchtest du etwas ganz Besonderes erleben?«, fragte Manuel schließlich. Irgendwann am Abend waren sie zum Du übergangen.
    »Etwas Besonderes?«, lallte Florence. Sie war gerade Scar lett O’Hara gewesen, hatte Rhett Butler geküsst und war von dem Kuss enttäuscht, was aber vermutlich nicht an den Einstellungen dieser SensiSequenz lag, sondern daran, dass der Alkohol die neuronale Stimulation dämpfte.
    Manuel nahm ihr den Ampli ab und legte ihn beiseite, ergriff dann ihre Hand und zog sie mit sich, vorbei an Dutzenden von Erlebnishungrigen – Eskapisten, flüsterte der kritische Teil von Florence –, die mit geschlossenen Augen in Sesseln saßen oder auf Matratzen lagen.
    »Frag nicht, woher ich es habe und wie viel es mich gekostet hat«, sagte Manuel, als sie eins der privaten Zimmer betraten, die zahlungskräftigen Gästen zur Verfügung standen. Florence war geistesgegenwärtig genug zu beobachten, wie der junge Spanier mit einer goldenen Kreditkarte bezahlte.
    »Was denn?«, brachte sie hervor und kramte in ihrer Hand tasche, auf der Suche nach Neutro.
    »Das hier.« Zwei Tabletten lagen auf Manuels Handfläche, blau und oval.
    »Was soll das sein? Viagra?« Sie lachte.
    Manuel verzog das Gesicht. »Sehr komisch. Nein, das hier ist Tetra.«
    »Tetra?«
    »Die Kurzform von ›Tetranol‹. Eine Droge, die das Philanthropische Institut entwickelt hat.« Er sah sie erwartungsvoll an.
    »Sollte ich jetzt beeindruckt sein?«, fragte Florence mit schwerer Stimme. Sie war müde geworden; der Alkohol legte sich wie eine warme Decke um sie.
    »Es ist eine synthetische Droge.«
    »Das PI hat nichts mit dem verdammten Drogenhandel zu tun«, sagte Florence mit plötzlichem Ärger. Für sie zählte das Philanthropische Institut zu den letzten Bastionen von Moral und Ethik auf einer Welt, die sich schon vor dem Ansteigen des Meeresspiegels in einen stinkenden Sumpf verwandelt hatte.
    »Nein, nein, das verstehst du falsch. Es ist keine Droge in dem Sinne, eher ein besonderes … Medikament. Angeblich werden die Traveller damit behandelt.«
    »Traveller?«
    Manuel sah sie ungläubig an. »Hast du noch nie von den Travellern gehört? Trotz der Verbindungen deines Vaters zum Institut?«
    Florence schüttelte den Kopf.
    »Das sind Leute, die ihre Gedanken in das Bewusstsein anderer Personen projizieren können.«
    Florence zuckte die Schultern und ließ sich in den nächsten Sessel sinken. »Wozu soll das gut sein?«
    »Du hast mir doch erzählt, dass du empathische Psycho logie studierst«, sagte Manuel. Er wirkte fast ein wenig enttäuscht. »Dies hier ermöglicht direkte Psychologie. Die Traveller nehmen Tetranol, um ihre Reisen zu kontrollieren, wenn ich das richtig verstanden habe. Sie suchen in fremden Geisteswelten nach Traumata und dergleichen, und sie bewegen sich in ihnen, als wären

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