Seelenfänger
Stirn, eine kleine Tätowierung, die wie ein Barcode aussah.
Ihre Gedanken überschlugen sich, direkt vor der scharfen Klinge des wartenden Messers. Zach braucht Hilfe, lautete einer. Steckt der Seelenfänger dahinter?, lautete ein anderer. Hat er mich auf eine Art mentales Abstellgleis geschoben? Um zu verhindern, dass sie Zacharias half, wie auch immer?
Ein Gedanke schob sich in den Vordergrund: Wem konnte sie vertrauen?
Denn sie brauchte Hilfe, um helfen zu können. Vieles hing von der Größe des Ereigniswinkels ab, der sie von Zach trennte. Bedeutete eine Sekunde für sie auch eine für ihn? Verging für ihn mehr Zeit oder weniger? Und wie dicht war ihm der Seelenfänger auf den Fersen?
Florence starrte auf das Kriegsschiff im Westen von Sea City, seine Kanonen wie stumme Drohungen aus einer Vergangenheit, die die Stadt im Meer hinter sich lassen wollte, und fragte sich, wem sie trauen durfte, mit wem sie sprechen sollte. Rasmussen? Gab es hier einen Zacharias, mit dem sie reden konnte? Die Vorstellung bereitete ihr vages Unbehagen.
Was brauchte sie, um die Reise fortzusetzen? Diese Frage ließ sich leicht beantworten: Tetranol und Lily, einen Zugang zum Computer und dem Transferprogramm. Wenn sie mit Rasmussen oder Anderson sprechen und ihnen alles erklären würde …
Florences Instinkt ließ innere Alarmglocken läuten.
Jonas und die anderen hätten vielleicht geglaubt, dass sie an einem Rückkehr-Schock litt. Man hatte sie sofort mit einem Beruhigungsmittel behandelt, was darauf hindeutete, dass zumindest das medizinische Personal der Foundation – dieser Foundation – von dieser Möglichkeit ausging. Irgendwie wäre es Florence sicher gelungen, alles so zu schildern, dass man ihr schließlich glaubte, aber es hätte Zeit gekostet, wertvolle Zeit, und sie musste Zacharias helfen. Gab es hier jemanden, der ihr auch ohne große Vorarbeit geglaubt hätte, dessen geistige Flexibilität groß genug war, um ihre Geschichte sofort für möglich zu halten und unverzüglich Hilfe zu leisten? In ihrer Welt existierte eine solche Person: Matthias.
Und Matthias, Sysadmin von Sea City und der Foundation, konnte sie mit den Interface-Systemen verbinden und ihr vermutlich auch Tetranol beschaffen.
Florence wandte sich vom Fenster ab und sah noch einmal auf die Penelope ohne Stigmatisation hinab, bevor sie das Zimmer verließ und erneut durch den Flur schlich. An der nächsten Abzweigung verharrte sie im Halbdunkel zwischen zwei Nachtlampen, hob die Hände und rieb sich die Schläfen – die Kopfschmerzen kehrten zurück.
Das Messer setzte sich wieder in Bewegung, kratzte und schnitt, und Erinnerungen füllten die Lücken.
12
D ie erste Station war eine Diskothek im Yuppie-Viertel der Stadt, wie ein Tempel auf einem kleinen Hügel, nicht weit von den Wehren des Jachthafens entfernt, die jenseits der Anlegestellen wie dunkle Wände emporragten und die auflaufende Flut fernhielten. Buntes Laserlicht wan derte über weiße Säulen und ragte in dünnen Balken gen Himmel, als wollte es die Sterne erreichen.
Drinnen, im Hauptsaal, von dem sternförmig Korridore ausgingen, trafen sie eine sonderbare Geräuschkulisse an, bestehend aus dem Klirren von Gläsern, dem Rascheln von Kleidung, dem Klacken von Schuhen auf der Tanzfläche und murmelnden Stimmen, von denen manche leise zu singen schienen. Das änderte sich, als Manuel und Florence ihre Amplis entgegennahmen und die wie schmale Kopfhörer aussehenden Geräte aufsetzten. Die SensiMusik erreichte direkt das Hörzentrum des Gehirns, ohne den Umweg über die Ohren, und Florence gab sich dem Wummern und Dröhnen hin. Genieß das Leben, hatte ihre Mutter gesagt. Sie versuchte, dem Rat zumindest an diesem Abend zu folgen, indem sie tanzte und trank, trank und tanzte, gelegentlich Neutro schluckte, das sie vor den negativen Wirkungen des Alkohols schützen sollte, und sich alle Mühe gab, nicht an ihre Eltern zu denken. In den Pausen, wenn die Sensi-DJs den Tänzern im wahrsten Sinne des Wortes ein wenig Ruhe gönnten, erzählte Manuel von Dingen, die ihr gleichgültig blieben, aber er machte es auf eine nette Weise, die dafür sorgte, dass sie nicht ganz das Interesse an ihm verlor. Wenn es so weiterging, würden sie mit ziemlicher Sicherheit im Bett landen, dachte sie, während Pink-Floyd-Klänge ihre Synapsen kitzelten. Manchmal lach te sie, weil ihr nach Lachen zumute war, vermutlich wegen des Alkohols, und bei anderen Gelegenheiten, wenn die Musik traurig wurde,
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