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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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öffnen. Wenn ich sie erreichen kann. Los, mach schon!«, drängte Zacharias. »Stell dich hier an die Wand und falte die Hände.«
    Der Alte stellte sich an die Wand und faltete die Hände, und Zacharias trat mit dem einen Fuß in den improvisierten Steigbügel – der sofort unter ihm nachgab. Er fiel, landete unsanft auf dem Boden und sprang sofort wieder auf. Über ihm knarrte und rasselte der Aufzug, sehr massiv und bedrohlich.
    »Du bist nicht nur ein vergesslicher Gott, sondern ein schwacher und ungeschickter obendrein. Du musst die Hän de zusammenhalten, nur für ein paar Sekunden.«
    »Na schön, ich versuch’s.«
    Diesmal öffnete sich der »Steigbügel« nicht, und begleitet vom übertrieben lauten und theatralischen Ächzen des Alten streckte sich Zacharias nach oben. »Höher«, sagte er. »Noch etwas höher.«
    Der namenlose Mann unter ihm hob die gefalteten Hände ein wenig, wobei er laut schnaufte, und Zacharias langte nach der Tür. Er bemühte sich, die Finger in den Spalt zwischen den beiden Türhälften zu bohren, und beim zweiten Versuch gelang es ihm.
    »Lass jetzt bloß nicht los!«, mahnte er, als er die Türhälften auseinanderzog.
    Der Lift war nur noch einen Meter entfernt. Zacharias nahm einen öligen Geruch wahr, fühlte die Vibration der nahen Schiene
    »Noch ein bisschen, nur ein bisschen!«
    Die eine Türhälfte gab nach, und die andere ebenfalls, nach einem entschlossenen Stoß mit der linken Hand. Zacharias verlor keine Zeit, zog sich hoch, suchte mit den Füßen an der glatten Wand nach Halt und kroch durch die Lücke zwischen den beiden Türhälften. Nur wenige Sekunden später rumpelte der Aufzug vorbei, und hinter der halb offenen Tür zeigte sich eine leere, hell erleuchtete Kabine.
    Zacharias horchte, aber es kam kein Schrei von unten. Zu hören war nur das Rasseln und Quietschen des Lifts, als er den Weg zum Ende des Schachtes fortsetzte und dort zur Ruhe kam.
    Es folgte eine Stille, in der Zacharias kaum zu atmen wagte. Er schickte noch ein Ping in den Turm, und das Echo zeigte ihm nicht nur, dass der Übergang noch immer da war. Es wies ihn auch darauf hin, dass Salomo, Kronenberg und die anderen die Nottreppe neben dem Lift herunterkamen, und zwar ziemlich schnell.
    Er lief los.
    Kurze Zeit später erreichte er die Eingangshalle des Turms, in der es noch etwas wärmer zu sein schien als vorher. Draußen regnete es nicht mehr, und die Morgendämmerung hatte begonnen. Im grauen Licht zeichneten sich hinter dem Glas des Eingangs die traurigen Silhouetten der zerstörten Stadt ab: eingestürzte Gebäude, rostige Stahlträger, wie von titanischen Händen verbogen und verdreht, geborstene, zerfetzte Mauern, daneben die Gerippe ausgebrannter Fahrzeuge. Doch Zacharias schenkte diesen Szenen nur einen flüchtigen Blick, denn neben der breiten Glasfront des Eingangs weckte etwas anderes seine Aufmerksamkeit: eine Tür in gebrochenem Weiß, schmal und seltsam hoch, auf ihrer linken Seite ein goldener Knauf.
    Der Übergang.
    Zacharias blieb vor der Tür stehen, streckte die Hand nach dem Knauf aus und versuchte, ihn zu drehen, doch er war blockiert, gab nur einige wenige Millimeter nach, mehr nicht.
    »Brauchst du Hilfe, Zach?«, ertönte hinter ihm die Stimme des Seelenfängers.

16
    Z acharias ließ den Knauf los und drehte sich langsam um. Dort stand er, der kleine Mann mit dem großen Kopf und der Narbe unter dem einen Auge. Neben ihm war der blonde Kronenberg wie zum Sprung geduckt, in den Augen der Glanz des Zorns, die Nase schief und blutig. Die anderen Männer traten zur Seite, um Zacharias den Fluchtweg abzuschneiden.
    »Soll ich die Tür für dich öffnen?«, fragte Salomo sanft. »Bist du bereit, mich zu begleiten, damit ich dir mein – unser – Utopia zeigen kann?«
    »Dein Utopia interessiert mich nicht«, erwiderte Zacharias kühl, während seine Gedanken nach einem Ausweg suchten. »Ich möchte zurück zur Foundation.«
    Salomo hob beide Brauen, breitete die Arme aus und wandte sich halb zur Seite. »Du bist doch schon da. Dies ist Sea City. Sea City Eins, um genau zu sein. Und dies ist der Turm mit der Foundation. Du bist oben gewesen, du hast alles gesehen.«
    »Ich will zur richtigen Foundation.«
    »Und woher willst du wissen, welche die richtige ist?«
    Zacharias hörte die Worte, und für einen Moment glaubte er, wieder die Stimme des Alten zu hören, der eine ähnliche Frage an ihn gerichtet hatte.
    »Die mumifizierten Toten …«, sagte er langsam. »Steckst

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