Seelenfänger
du dahinter?«
»Traust du mir so etwas zu? Traveller einfach so zu töten? Und wie sollte ich das angestellt haben?«
»Wie auch immer es geschehen ist … Sie können noch nicht lange tot gewesen sein. In einem Glas war das Eis noch nicht einmal geschmolzen.« Zacharias empfand erneut gefährliches Wohlbehagen, und er versuchte, nicht darauf zu achten.
»Wer weiß, was hier passiert ist? Weißt du es, Kronenberg?« Salomo wandte sich an den Mann mit den eisblauen Augen, der daraufhin den Kopf schüttelte. »Wisst ihr es?« Die drei anderen Männer verneinten. »Siehst du, Zacharias? Niemand von uns weiß, was hier geschehen ist. Wer kann schon wissen, was in all den Welten passiert? Wir ha ben uns die Mühe gemacht hierherzukommen, weil du mich gerufen hast.«
»Ich habe dich nicht gerufen«, sagte Zacharias.
»Du hast mit Florence gesprochen und meinen Namen genannt. Das genügt. Manchmal genügt es sogar, an mich zu denken.«
Salomo kam näher, und Zacharias konnte nicht zurückweichen, denn er hatte die Tür im Rücken, die sich nicht für ihn öffnen wollte. »Ich wiederhole meinen Vorschlag. Gib mir Gelegenheit, dir mein Utopia zu zeigen, und entscheide dann, ob du bei mir bleiben möchtest.«
»Habe ich wirklich eine Wahl?« Zacharias nickte in Richtung der Männer, die ihm den Weg versperrten.
»Lass mich die Tür für dich öffnen.« Salomo streckte die Hand nach dem goldenen Knauf aus. »Kommt mit mir, Zach.«
»Zum letzten Mal …« Ärger verdrängte das Wohlbehagen aus Zacharias, und sofort konnte er klarer denken. »Nenn mich nicht Zach.« Ihm fiel etwas ein. »Möchtest du gar nicht wissen, wie ich den Sturz durch den Fahrstuhlschacht überstanden habe?«
Salomos Hand verharrte am goldenen Knauf. »Oh, ich weiß es. Er hat dich vor dem Aufprall auf den Boden bewahrt.« Er zögerte. »Ich nehme an, er hat dich vor mir gewarnt, ja?«
»Du kennst ihn?«
Salomo zuckte die Schultern. »Er ist ein Irrer, der sich für Gott hält. Ein ziemlich dummer Gott, wenn du mich fragst. Dumm und vergesslich. Aber auch ein Ärgernis, denn er versucht immer wieder, mir Steine in den Weg zu legen, indem er schlecht über mich redet. Wie kann man schlecht über mich reden, Zacharias, wo es mir doch nur um die Freiheit aller Traveller geht? Und um Freundschaft. Ich möchte es dir zeigen. Komm, Zacharias.« Er drehte den Knauf und öffnete die weiße Tür.
Das Wasser des Sees lag spiegelglatt unter einem dunkler werdenden wolkenlosen Himmel, an dem erste Sterne funkelten. Grober Kies knirschte unter ihren Schritten, als sie am Ufer entlanggingen und sich der Hütte näherten, aus deren Schornstein dünner Rauch kräuselte. An der Anlegestelle weiter rechts war ein Kanu festgebunden, und zwischen zwei hohen Holzstangen hing ein Netz. Kleine Pfützen hatten sich darunter gebildet – jemand war mit Kanu und Netz auf dem See gewesen und hatte Fische gefangen. Links ragten Bäume auf, zehn Meter und höher, und ihre großen, gezackten Blätter trugen die Farben des Herbstes.
»Hier wohnt Anna«, sagte Salomo, lächelte und brei tete die Arme aus. »Ich habe ihr damals einige Welten gezeigt, und sie wählte diese. Ruhe und Beschaulichkeit, das wünschte sie sich. Um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Um ihre Mitte zu finden. Sie wollte nur einige Wochen hierbleiben, aber inzwischen ist sie schon zehn Jahre hier am See. Das Leben in der Einsamkeit gefällt ihr. Für mich wäre das nichts, und für dich sicher auch nicht, Zacharias, aber Anna ist zufrieden. Du kannst sie gleich fragen, ob sie zufrieden ist. Manchmal, wenn sie das Alleinsein satthat, setzt sie zur anderen Seite des Sees über. Dort gibt es eine Brücke, die sie nach Karotai bringt, oder nach Taren-Tarek und Wirikus. In jenen Welten kann sie unter Menschen sein, wenn sie will, aber meistens kehrt sie schon nach kurzer Zeit zurück.«
»Eine Brücke?«, fragte Zacharias.
Salomo nickte. »Mehr als ein gewöhnlicher Übergang. Unsere Brückenbauer sind fleißig gewesen und haben bereits viele Welten miteinander verbunden.«
Nur noch wenige Meter trennten sie von der Veranda vor der Hütte, deren Tür einen Spaltbreit offenstand. »Anna?«, rief Salomo.
Die Tür wurde geöffnet, und eine ältere Frau trat auf die Veranda, gekleidet in eine fleckige Leinenhose und eine Wolljacke. Graue Strähnen zeigten sich in ihrem halblangen dunklen Haar, und Falten durchzogen das ledrige Gesicht. Sie nahm einen Zug aus der Pfeife in ihrem Mund, paffte und sagte:
Weitere Kostenlose Bücher