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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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viel stand fest. Salomo hatte gesagt, dass all diese Welten tatsächlich existierten, dass es sich nicht um »Space« han delte, einen mentalen Weltraum, in dem sich Fantasien frei entfalten konnten, sondern um echte Realitäten, die unabhängig von einem bestimmten Bewusstsein existierten. Aber wer waren die Menschen in ihnen, und die anderen Wesen, die Krehel? Wer hatte sie geschaffen? Welche Träume steckten dahinter, welche Gedanken, welche schöpferische Kraft?
    Weitere Geräusche bahnten sich einen Weg zu ihm: ein Donnern und Krachen, wie von einer Explosion. Aber was sollte in Prisma explodieren? Dort gab es nichts, das explodieren konnte, keine Fahrzeuge, keine Kraftwerke, keine mit Benzin oder anderen brennbaren Flüssigkeiten gefüllte Tanks. Erwachte der Vulkan zu neuem Leben?
    Schlaf weiter, Zacharias. Wach nicht auf. Stell Fragen, die dir helfen, Antworten zu finden.
    Wie viel Zeit ist vergangen, dachte er. Wie groß ist der Ereigniswinkel? Was geschieht mit meinem Körper in der Foundation? Sterbe ich dort wie Teneker? Liege ich im irreversiblen Koma wie Penelope?
    Und: Es gibt hier weder Tetranol noch Computer. Wie stellt Salomo es an? Wie behält er die Orientierung? Und wie, verdammt, macht er es, dass ich mich so gut fühle, wenn er zu mir spricht? Wie schaut er in meine Gedanken, wie verwandelt er meine Gefühle in Knetmasse, der er eine neue Form geben kann?
    »Zacharias!«
    Ja? Hier bin ich. Nein, dachte er, nein, antworte nicht, diese Stimme kommt von außerhalb des Schlafs, und du willst weiterschlafen, du brauchst Kraft und Antworten, denn morgen musst du eine Entscheidung treffen. Du musst wählen, zwischen einem Leben im Rollstuhl mit Ausflügen in den Space, und einer Existenz in einer dieser Welten, in einem gesunden Körper, zusammen mit Florence.
    Aber wie kann dir Salomo ein Leben mit Florence versprechen, wenn er gar nicht weiß, wo sie ist?
    Er ist ein Sandmann, dachte er. Er streut dir Sand in die Augen, damit du nicht siehst, was du nicht sehen sollst. Aber der Sand lässt dich schlafen, und im Schlaf bist du frei.
    »Zacharias!«
    Es war eine hartnäckige Stimme, und hinter ihr, weiter entfernt, krachte etwas. Es klang nach zerbrechendem Glas und berstendem Kristall.
    Glas und Kristall …
    Lasst mich schlafen, dachte Zacharias. Im Schlaf bin ich frei. Wenn ich schlafe, kann er mich nicht erreichen.
    Dann fiel ihm der Rollstuhl ein, in dem er erwacht war, das dunkle Zimmer, in dem er für einige Sekunden geglaubt hatte, zur Foundation zurückgekehrt zu sein, und die Silhouette des kleinen Mannes vor dem Fenster. Ist die Wahl so schwer?
    Ein Gedanke, scharf wie ein Messer, schnitt durch alle anderen. Wach endlich auf, du verdammter Idiot! Schlafend kriegst du nichts geregelt. Der Schlaf ist kein Ausweg, sondern Flucht.
    Zacharias öffnete die Augen.
    Jemand hörte auf, ihn zu schütteln, ein Mann mit schütterem Haar und energischem Gesicht, etwa so alt wie der Weltenbauer, der versucht hatte, die beiden Kinder in dem Albtraum vor den Monstern zu schützen. Hinter ihm drang das flackernde Licht von Flammen durch die transparente Wand.
    »Endlich!«, knurrte der Mann. »Wurde auch Zeit. Wir sind hier, um Sie zu befreien.«
    »Was?«, brachte Zacharias hervor. »Noch jemand, der mir Freiheit bietet?«
    Und dann war er plötzlich hellwach, denn hinter dem Mann kam eine zierliche Frau mit schwarzem, lockigem Haar durch die Tür.
    »Auf die Beine mit dir«, sagte Florence. »Wir müssen von hier verschwinden, solange wir können.«

Am Abgrund
    D iesmal hielt sich Thorpe im Hintergrund und beobachtete, verzichtete sogar auf ein Lächeln, denn die Umstände verlangten einen besorgten Gesichtsausdruck.
    »Können wir sie zurückholen?«, fragte Jonas Rasmussen. Er stand am Fußende des Bettes, während sich Dr. Anderson und Agnes um die Patientin kümmerten. Weitere Pfleger standen bereit, und hinzu kamen einige Traveller, unter ihnen Helen und Duke; von allen Anwesenden verstanden sie vielleicht am besten, was geschah; sie hatten einmal Ähnliches erlebt und drei Monate gebraucht, um sich von dem Schock zu erholen. »Vielleicht hat es etwas mit Zach und Flo zu tun«, sagte Helen zaghaft.
    Thorpe hätte etwas dazu sagen können, die Worte lagen ihm auf der Zunge, aber er schwieg und beschränkte sich auf die Rolle des Beobachters. Die übrigen Traveller der Foundation – Elisabeth, Beatrice und die anderen – bereiteten sich auf die Reise vor: Sie wollten in den Space vorstoßen, der

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