Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
zuerst Teneker festgehalten hatte und jetzt auch Zacharias und Florence. Rasmussen hatte ihnen, wie vorauszusehen gewesen war, bereits seinen Segen gegeben, weil er auf keinen Fall seinen besten Traveller verlieren wollte. Die Ereignisse strebten einem Höhepunkt entgegen, und das war auch gut so, den Thorpe wusste, dass sein Tetranol-Konsum allmählich kritisch wurde. Die Vorräte der Foundation waren gesichert und unterlagen einer strengen Kontrolle. Zwar fälschte er jedes Mal die Inventurdaten, aber früher oder später würde jemand merken, dass die im Verzeichnis angegebene Menge nicht mit der tatsächlichen übereinstimmte, und dann musste eine Untersuchung stattfinden. Aber vielleicht konnte Thorpe seine Mission abschließen, bevor es dazu kam.
    Andererseits … Was hier und jetzt geschah, gehörte nicht zum Plan.
    Penelope bewegte sich.
    Nach dem ersten Schrei, der alle alarmiert hatte, war sie still geblieben, aber ihre Lider flatterten, und sie warf den Kopf hin und her. Die Male an Händen und Stirn, die ihr den Spitznamen »Santa Maria« eingebracht hatten, waren noch deutlicher geworden; in der Innenfläche der linken Hand hatte sich sogar eine kleine Wunde gebildet, aus der Blut rann.
    Thorpe hörte, wie Dr. Anderson die Frage des Foundation-Direktors beantwortete – »Ich weiß es nicht, wir versuchen alles, ich kann mir dies nicht erklären« –, und er hörte auch die Worte, die der Arzt mit Agnes, den anderen Pflegern und zwei Kollegen wechselte, die gerade das Zimmer betreten hatten. Das letzte Tetranol hatte er erst vor zwei Stunden genommen, und bisher hielt es die absurden Gedanken in Schach, die manchmal in ihm aufstiegen, die ihn gelegentlich regelrecht überfielen. Es ließ ihn alles mit einer Klarheit beobachten, als sähe er die Ereignisse unter einer Lupe, die ihm jede noch so kleine Einzelheit mit fast schmerzhafter Deutlichkeit zeigte, und jedes einzelne Geräusch – jedes Wort, jeder Atemzug – schien sich ihm ins Gehirn zu fräsen. Aber das Tetranol gab dem, was um ihn herum passierte, auch etwas Traumhaftes, das, wenn er nicht aufpasste, eine Brücke zu den absurden Gedanken bauen konnte. Es träumt der Mann, der einen Traum in sich trägt , flüsterte einer dieser Gedanken.
    Thorpe blinzelte und konzentrierte sich auf die junge, abgemagerte Frau im Bett. Ihr rotblondes Haar lag schweißverklebt auf dem Kissen und rahmte ein Gesicht fast so weiß wie das Laken ein. Die Augen unter den geschlossenen Lidern bewegten sich wie im REM-Schlaf, und manchmal öffnete sich der Mund, ohne dass Penelope nach dem ersten Schrei einen Ton von sich gab. Das Summen und Brummen lebenserhaltender Geräte umgab sie, und Zackenlinien wanderten über die Monitore. Sie war die große Hoffnung des Projekts Genesis gewesen; aber davon wussten die anderen natürlich nichts.
    Helen und Duke traten näher. »Vielleicht versucht sie zurückzukehren«, sagte Helen. »Wir könnten ihr helfen.«
    Thorpe beobachtete Rasmussens Unschlüssigkeit und Hoffnung, während sich Anderson und die Pfleger bemühten, den Kreislauf der jungen Frau zu stabilisieren. Einer der anderen Ärzte schlug vor, ihr eine kleine Dosis Tetranol zu verabreichen, und ein Teil von Thorpe erschrak, weil er befürchtete, dass man vielleicht den Fehlbestand bemerkte. Aber nein, bei einer flüchtigen Kontrolle würde niemand Verdacht schöpfen.
    Als der Direktor länger als einige Sekunden mit einer Entscheidung rang, gab Thorpe seine passive Rolle auf. »Es wäre sehr riskant, Jonas«, sagte er. »Und in einer halben Stunde, wenn alles so weit ist, brauchen wir eine Einsatzreserve bei Zacharias und Florence.«
    Helen drehte sich um und warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Thorpe lächelte sein ruhiges, freundliches Lächeln.
    »Wir warten seit Jahren auf eine solche Gelegenheit, Jonas«, sagte der kleine, schmächtige Duke.
    Und die nie um einen Streit verlegene Helen fügte hinzu: »Es gefällt mir nicht, dass er sich immer einmischt. Es ist unsere Foundation, nicht seine.«
    Bevor Rasmussen etwas erwidern konnte, sagte Thorpe: »Glauben Sie mir, ich verstehe Sie. Es ehrt Sie, dass Sie versuchen wollen, einer Kollegin und Freundin zu helfen. Aber die derzeitige Situation verlangt, dass wir Prioritäten setzen. Ein Notfall nach dem anderen. Erst holen wir Teneker, Florence und Zacharias zurück, und anschließend kümmern wir uns um Penelope.« Es war wichtig, dass sich die Traveller auf Haruko Isamu Abe konzentrierten, den Patienten, den

Weitere Kostenlose Bücher