Seelenfeuer
hinter sich zu. Elisabeth sollte nicht sehen, wie sie schon wieder weinte. Auf dem Bett sitzend, kämpfte sie den in heißen Wogen aufflackernden Schmerz zurück. Erst als sie sich einigermaßen beruhigt hatte, begann sie sich anzuziehen. Rasch bürstete sie die nassen, widerspenstigen Locken und nahm die fuchsrote Mähne im Nacken mit einem Lederband zusammen.
Wehmütig ließ sie ihren Blick durch die kleine, gemütliche Kammer schweifen. Neben einem liebevoll gezimmerten Bett und einem Nachtkästchen aus dunklem Holz ließ sie den kleinen Schreibtisch zurück. Hier hatte sie oft mit Blick auf den See Pater Wendelins Pergamente beschrieben. Kleine Übersetzungen aus dem Lateinischen, Abschriften und manch andere Übung hatte sich der Pfarrer für sie ausgedacht. Sieben Jahre war dies ihre Heimat gewesen. In Seefelden hatte sie sich geborgen und angenommen gefühlt. Das Leben war leicht und selbstverständlich gewesen. Jeder kannte jeden. Die allermeisten besaßen wenig bis nichts und dennoch waren die Menschen zufrieden. Luzia schluckte schwer. Wie sehr sie sie alle vermissen würde: Elisabeth und Jakob. Magdalena, die gute Freundin der vergangenen Jahre. Wie viel Spaß hatte es gemacht, plaudernd, lachend und singend mit ihr die Wäsche zu waschen und den Brotteig zu kneten. Von Magdalena hatte sie sich bereits am Vortag unter Tränen verabschiedet. Dann waren da die vielen Kinder, denen sie auf die Welt geholfen hatte, und natürlich Matthias. Sehr bitter war ihr auch der Abschied von Pater Wendelin gewesen. Luzia dachte an die vielen Lateinstunden oder an die etwas selteneren Lektionen in Griechisch. Darüber hinaus hatte der gemütliche Pater
seine fleißige Schülerin in Botanik unterwiesen. Luzia vermisste schon jetzt die gemeinsamen Stunden des Lernens und der Gartenarbeit. Doch auch Pater Wendelin hatte ihr dringend zu einer Übersiedelung nach Ravensburg geraten.
»Du tust gerade so, als wäre Ravensburg aus der Welt. Dabei ist es gerade einmal eine knappe Tagesreise von unserem See entfernt. Wenn dich das nicht überzeugt, solltest du bedenken, dass du auch von deinem Onkel noch eine Menge lernen kannst. Stell dir nur einmal vor, wie viele Bücher und Schriftrollen er besitzt.«
Natürlich wusste Luzia, dass der Pater, Elisabeth und Jakob recht hatten. In Ravensburg würde sie das angesehene, gesicherte Leben der Stadthebamme führen. Aber es gab einen Winkel in ihrem Herzen, der wusste, dass in Ravensburg auch Gefahren auf sie warteten. Seit ihrer Ohnmacht nach Basilius’ Brief hatte sie immer wieder die hasserfüllte Stimme gehört und den brennenden Schmerz auf ihrem Rücken gespürt. Luzia ahnte, dass ihr in Ravensburg etwas auflauern würde. Böse und gierig griff es bereits jetzt nach ihr.
»Luzia, hast du keinen Hunger? Du musst etwas essen, bevor du dich auf den Weg machst«, mahnte Elisabeth.
Die Stimme der Tante ließ Luzia aus ihren trüben Gedanken aufschrecken.
Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, dass sie hier am großen Tisch neben der gemauerten Feuerstelle saß und groben Dinkelbrei löffelte. Sie hatte den Geschmack nicht einmal wahrgenommen. Resigniert legte sie nach einigen weiteren Bissen den Löffel weg.
Elisabeth versuchte ein aufmunterndes Lächeln, obwohl
auch ihr weh ums Herz war. Zweifel nagten an ihr. Würde ihre Nichte in Ravensburg ihr Glück finden? Sie selbst konnte ihr schon so lange nichts mehr beibringen. Alles, was sich Elisabeth im Laufe der Jahre angeeignet hatte, wusste Luzia bereits. Zumindest würde Luzia im Haus ihres Bruders Basilius freundliche Aufnahme und Schutz finden. Mit diesen Gedanken tröstete sie sich.
»Ist es schon so weit?«, fragte Elisabeth ungläubig, als Jakob Luzias Reisetruhe vor dem Haus abstellte.
»Nicht mehr lange, und die Glocken von Sankt Martin läuten zur achten Stunde. Wie ich Matthias kenne, wird er pünktlich mit seinem Ochsenkarren vor der Tür stehen.«
Elisabeth nickte. »Dann wird es wirklich Zeit!«, sagte sie zögernd.
»Wir werden uns gegenseitig besuchen«, flüsterte Luzia sanft.
Elisabeth nickte, doch auf ihrem Gesicht lag eine große Traurigkeit.
Obwohl die Abfahrt kurz bevorstand, fiel Elisabeth ständig noch etwas anderes ein, das sie Luzia gerne mitgeben wollte. Schließlich breitete sie auf dem Küchentisch ein sauberes Leinentuch aus. Darauf legte sie einige frisch geräucherte Fische aus dem Bodensee, eine dicke Wurst, einen großen Laib Brot und ein Stückchen Käse. An einem anderen Tag
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