Seelenfeuer
Liebespaare ein lauschiges Plätzchen für ihre Zweisamkeit.« Mit den letzten Worten schenkte er Luzia wieder dieses bezaubernde Lächeln, dem sie sich nicht entziehen konnte. Wobei sie sich alle Mühe gab, seine letzten Worte einfach zu ignorieren.
»Mit dem Jardin des Plantes hast du Luzias Interesse geweckt«, schmunzelte Basilius.
»Wie gerne ich diesen Garten einmal sehen würde«, schwärmte Luzia. »Und wie gern ich Montpellier sähe. Die Universität und das Spital. Dort braucht es doch sicher auch eine Hebamme?«
»Da täuscht Ihr Euch ganz und gar nicht.«
Basilius räusperte sich: »Ich unterbreche euch beide nur ungern, aber ich glaube, wir sollten uns langsam auf den Weg in die Kirche machen. Niemandem von uns stünde es gut zu Gesicht, wenn wir schon wieder zu spät kämen.«
Gemeinsam spannten sie den Schlitten an und stellten den wilden braunen Araberhengst des Medicus neben den braven Wallach des Apothekers. Mit dem Korb voller Lebensmittel machten sie sich auf den Weg zur Messe.
Im Inneren der Liebfrauenkirche war es eng und kalt. Der Geruch von Weihrauch und Kerzenwachs hing wie Nebel über den Bänken. Es wurde gehustet und genießt. Einige flüsterten sogar, bis die Messe begann.
Kaplan Grumper ließ zuerst In dulci iubilo singen. Dann folgten von den Schülern der Lateinschule die beiden beliebtesten Weihnachtslieder. Zuerst das Nunc angelorum gloria und das Quem pastores laudavere . In bodenlange Gewänder gehüllt, standen die Schüler mit einer Kerze in der Hand links und rechts neben dem Altar. Ihre feierlichen Weisen erfüllten das hohe Kirchenschiff und bereiteten Luzia eine prickelnde Gänsehaut.
Als klassische Abfolge neben dem Evangelium erfolgte die Lesung aus dem Alten Testament. Es war Weihnachten, heute hatten alle Gelegenheit, die Messe zu besuchen, und so drängte sich die ganze Oberstadt in den Bänken der Liebfrauenkirche, die bis auf die letzte Bank besetzt war. Die Messe wurde auf Latein gelesen, und Luzia fand es schade, dass nicht jeder verstand, was der Kaplan sagte. Rosa Ölschneider, die Magd des Bürgermeisters, die neben ihr kniete, unterdrückte bereits
zum wiederholten Male ein Gähnen. Anderen ging es ähnlich.
»Und bedenkt immer, nur die Gottlosen ziehen das Schwert und spannen ihren Bogen, dass sie fällen den Elenden und Armen und morden die Frommen. Aber ihr Schwert wird in ihr eigenes Herz dringen und ihr Bogen wird zerbrechen!«, zitierte Kaplan Grumper zum Ende der Andacht einen seiner liebsten Psalmen.
Nach der Messe knieten die Bedürftigen am Portal der Kirche und warteten auf die Gaben der Bessergestellten. Fast jeder verteilte etwas, denn die Kirche versprach für den Akt der Nächstenliebe eine Vergebung der Sünden. Von einigen hätte Luzia allerdings etwas mehr erwartet. Sie reichte jeder der zerlumpten Gestalten einige Äpfel und Lebkuchen. Als sie an der Zeuser Rita vorüberkam, die nach dem Tod ihres Mannes für drei kleine Kinder sorgen musste, drückte sie ihr ein paar Decken und einige gebrauchte Kleidungsstücke in die Arme.
»Was ist mit seinem Bein?«, fragte Johannes von der Wehr mit Blick auf den Ältesten ihrer Jungen.
»Augustin ist gestürzt«, antwortete Rita Zeuser.
Der Junge schrie vor Schmerz auf, als der Medicus sein rechtes Bein berührte, das seltsam verdreht war.
»Es ist gebrochen.« Er nahm eines der Leinenstücke, die Luzia der Frau gerade gegeben hatte. »Sucht mir einen Stock, möglichst gerade«, befahl er den beiden Brüdern, die sofort in Richtung der alten Eiche losliefen.
Luzia hatte sich bereits dem Nächsten zugewandt. Es war der alte Mann mit den grünen Augen, der ihr schon mehrfach
einen Flusskiesel zugesteckt hatte. Sie hängte ihm einen gut gefüllten Beutel um den Hals.
»Ihr habt sogar eine Tasche mit Schlaufen gebracht! Gott segne Euch.«
»Sonst könntet Ihr die Sachen ja nicht mitnehmen«, erwiderte Luzia und legte dem Mann ohne Beine ihre Hand auf die magere Schulter.
»Habt Dank für die guten Gaben. Gott sei mit Euch.«
»Und mit Euch.«
Als Luzia die gefürchtete Stimme hörte, wollte sie sich aufrichten, doch eine knochige Hand drückte sie grob zu Boden und flüsterte: »All diese Almosen werden dir nichts nützen, denn du bist eine Hexe, und als solche wirst du in der Hölle brennen!« Grumpers Stimme ließ ihr das Blut gefrieren.
»Herr Kaplan, wieso beschimpft ihr unsere Hebamme? Sie ist ein guter Mensch und den Armen ein Engel«, wagte der alte Mann zu
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