Seelenfeuer
des Lebens ihrem letzten Glockenschlag näherte. Bis das Herz für immer verstummte und der Atem der Unendlichkeit den Leib berührte. Dann breitete der schöne Todesbote seine seidigen Flügel aus und brachte die Seele heim.
Für Emma war die Zeit gekommen. Luzia nickte, als der silberne Nebel aus ihrem Mund glitt und sich in Azraels Armen davontragen ließ. Sie wusch Emmas Gesicht und ihren gemarterten Leib. Dann faltete sie ihre Hände über der Brust, ehe sie Bruder Anselm half, die Tote in ein Leinen zu wickeln und neben die anderen Verstorbenen zu legen.
Endlich waren alle Schwerverletzten versorgt, und es begann etwas ruhiger zu werden. Friko Hofmeister veranlasste einen der Helfer aus der Stadt, einen Krug Wein zu bringen.
»Wir trinken jetzt einen Becher zusammen. Auch Ihr könnt Euch Eure Widerworte sparen!«, sagte er an Luzia gewandt und lächelte ihr aufmunternd zu. »Setzt Euch einen Augenblick.«
Hofmeister hatte in aller Eile die blutgetränkten Leinen beiseitegeräumt und ein paar Schemel und einen kleinen Tisch zusammengestellt. Ohne Zögern verrichtete der dicke Mann Arbeiten, die weit unter seinem Stand waren. Selbst Wilhelm Stadler bedeutete er, sich dazuzusetzen. Gemeinsam leerten sie einen Becher dünnen Wein.
»Bei Gott, da habe ich schon Besseres getrunken!«, schimpfte Hofmeister mit saurer Miene und schenkte nach. »Täusche ich mich, oder ist bald ein Ende in Sicht?«
»Ihr täuscht Euch nicht. Wir haben es geschafft und können
bereits ein wenig aufatmen«, gab Johannes von der Wehr zurück. Er sah erschöpft aus und unter seinen Augen lagen tiefe Schatten.
Hofmeister nickte und prostete in die Runde. »Jungfer Luzia, Euch möchte ich meinen besonderen Dank aussprechen. Ohne Eure Hilfe wäre es unserem fleißigen Medicus nicht gelungen, so viele Leben zu retten.«
»Da bin ich ganz Eurer Meinung«, versicherte ihm von der Wehr und schenkte Luzia ein warmes Lächeln. Als er unter dem Tisch heimlich ihre Hand nahm und sie zärtlich drückte, stand ihr Herz in Flammen. Verlegen strich sie sich eine Locke ihres roten Haares aus der Stirn und spürte, wie sich ihre Wangen röteten.
»Nun, Stadler, erzählt. Was hat sich auf der unglücklichen Reise zugetragen?«
Eifrig strich sich der blonde Kaufmann durch den kurzen Bart und nickte.
»Der Weg von Ravensburg nach Saragossa verlief ohne einen einzigen Zwischenfall. Selbst an den Grenzen kam es zu keiner Verzögerung. Auch in Saragossa klappte alles völlig reibungslos. Wolle und Safran haben wir bekommen. Die Ware war von auserlesener Qualität. Selten habe ich eine so weiche Rohwolle gefühlt. Dazu Zuckerhut, Reis, Datteln und Feigen.«
»Das dachte ich schon«, murmelte Hofmeister und rieb sich das Kinn.
»Erst auf der Rückfahrt hat der Ärger begonnen, genauer auf dem Alpabstieg. Zuerst lahmte eines der Pferde, dann hat es wie aus Kübeln geregnet und zu guter Letzt erkrankten einige der Männer des Geleits an Durchfall. Die Krankheit
schwächte sie so sehr, dass wir sie neben den Waren auf die Pferde und Wagen laden mussten, um vorwärtszukommen.«
»Ein gefundenes Fressen für Wegelagerer und Halsabschneider«, murmelte Hofmeister bitter, und Stadler nickte dazu.
»Auf der Höhe Zürich schwoll der Verkehr auf der Straße stark an. Ochsengespanne, Eselkarren, aber auch Menschen mit einem Handkarren schienen alle nur ein Ziel zu haben. Wir alle waren müde und hungrig, deshalb folgten wir der Menge. Außerdem hofften wir auf einen fahrenden Bader oder einen kundigen Medicus, der sich unserer siechen Männer annehmen würde. Wir kamen zu einem kleinen Kaff, dessen Namen ich schon wieder vergessen habe. Zimmerer waren dabei, eine große Tribüne zu errichten, sodass wir glaubten, es gebe ein Schauspiel oder etwas Ähnliches«, berichtete Wilhelm Stadler mit leiser Stimme.
»Spannt uns nicht länger auf die Folter, was gab es denn dann zu sehen?«, wollte Hofmeister wissen.
Ihr Gefühl sagte Luzia bereits, dass sie nicht hören wollte, was jetzt folgte.
»Noch während wir rasteten und unsere Tiere versorgten, schichteten die Büttel einen gewaltigen Holz- und Reisighaufen um einen Pfahl, an dem eine dicke Kette mit Eisenringen befestigt wurde. Und jetzt kommt das Schaurigste«, raunte er und rieb sich die Arme, als wolle er die Gänsehaut vertreiben, die sich mittlerweile auch auf Luzias Armen gebildet hatte.
Alle warteten gespannt, wie es weiterging.
»Die herbeiströmenden Leute erzählten uns, dass sie alle
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