Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
möchte auch ich es wissen.«
    »Ulrika, das ist so lange her.«
    »Ich möchte wissen, was damals geschah. Ich habe ein Recht darauf. Es ist mein Vermächtnis. Ich möchte alles hören, was mein Vater dir erzählt hat.«
    Selene schüttelte den Kopf. »Was dieser Mann getan hat, ist grauenvoll. Die Kämpfe waren schlimm genug, aber das reichte ihm nicht. Die Heiligtümer wurden geschändet, die Menschen wurden gefoltert.«
    »Weiter.«
    »Warum, Ulrika?« rief Selene. »Warum mußt du das wissen?«
    »Weil ich sehen möchte, was mein Vater gesehen hat; weil ich in meinem Herzen fühlen möchte, was er gefühlt hat. Wenn er bei uns in Persien geblieben wäre, hätte er selbst mir das alles erzählt. Ich wäre in dem Bewußtsein seines Schmerzes aufgewachsen. Jetzt mußt du das alles an mich weitergeben.«
    Selene sah ihre Tochter an. Dann sagte sie: »Die Frauen wurden vergewaltigt. Die Frau deines Vaters wurde ins Zelt des Gaius Vatinius geschleppt. Andere Männer waren bei ihm. Dein Vater wurde gezwungen zuzusehen.«
    Ulrikas Gesicht war wie versteinert. »Du hast gesagt, er kehrte zu ihr zurück. Sie muß es also überlebt haben.«
    »Sie war dem Tode nahe, als man ihn verschleppte.«
    »Und sein Sohn?«
    »Wulf erzählte mir, daß auch Einar gefoltert wurde. Er war damals ein kleiner Junge. Auch er überlebte.«
    Durch das offene Fenster trug der Wind die Geräusche vom Hafen am anderen Flußufer herein.
    »Mein Bruder«, sagte Ulrika. »Ich habe einen Bruder namens Einar. Wie alt war er? Hat mein Vater dir das gesagt?«
    Selene dachte nach. »Ich glaube, er war damals zehn. Ulrika, warum kannst du es nicht ruhenlassen? Es ist alles so lange her.«
    »Weil mein Vater noch am Leben ist.«
    Selene sah sie groß an. »Wie kommst du darauf?«
    »Er ist der Rebellenführer, von dem Gaius Vatinius gestern abend gesprochen hat. Mein Vater ist der Mann, der die Aufständischen führt.«
    »Das kannst du nicht im Ernst glauben! Ulrika, neunzehn Jahre sind vergangen, seit er aus Persien fortgezogen ist!«
    Ulrika ging an ihrer Mutter vorbei zum Fenster. Über Nacht hatte sich ihre ganze Welt verändert. Nichts war mehr wie vorher. Sie wußte jetzt, was ihre Rastlosigkeit zu bedeuten hatte, wohin es sie trieb, warum sie sich in Rom niemals zu Hause fühlen konnte. In den frühen Morgenstunden, als sie in Eirics Armen gelegen hatte, hatte Ulrika die Zukunft so klar und deutlich gesehen, wie sie jetzt das Domus Julia sah. Sie wußte, was sie zu tun hatte. Wenn der Führer der Aufständischen nicht ihr Vater war, dann war es ihr Bruder Einar. Aber Ulrika würde die Wahrheit niemals erfahren, wenn sie nicht selbst dorthin zog, um zu sehen, wie es war.
    »Ich gehe fort, Mutter«, sagte sie nach einer langen Pause. »Ich gehe fort aus Rom.«
    »Aber warum denn? Wohin willst du?«
    »Nach Germanien.«
    »Ulrika!«
    »Ich werde meinen Vater suchen.«
    »Ulrika, nein!«
    »Er braucht mich, Mutter. Das weiß ich jetzt. Es wurde mir klar, sobald ich erkannte, daß mein Vater der Rebellenführer sein muß, den Gaius Vatinius in die Knie zwingen will. Ich muß ihn und sein Volk vor Gaius Vatinius’ Plänen warnen, Mutter. Gaius Vatinius wird eine große Überraschung erleben, denn mein Volk wird gewappnet sein. Und ich helfe ihnen in ihrem Kampf. Ich kümmere mich um die Verwundeten.«
    »Bitte«, flüsterte Selene, »bitte, geh nicht.«
    Ulrika zögerte einen Augenblick. Ihr Gesicht verzog sich, als wollte sie weinen, ihr Körper neigte sich ihrer Mutter zu, doch dann hatte sie sich schon wieder in der Gewalt. Sie hatte eine Schwelle überschritten; sie würde nicht umkehren.
    An der Tür drehte sich Ulrika noch einmal um und sagte leise: »Du hast gesagt, du und mein Vater, ihr hättet getrennte Wege gehen müssen; du hättest immer gewußt, daß ihr eines Tages die Weggabelung erreichen würdet. Jetzt müssen wir uns trennen, Mutter, weil auch wir verschiedene Schicksale haben. Lebewohl, mögen die Götter, deine und meine, dich behüten.«
    Selene öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber statt dessen lief sie ohne ein Wort zu ihrer Tochter und zog sie in ihre Arme. Ulrika drückte ihre Mutter fest an sich; in der Umarmung drückte sich eine Endgültigkeit aus, die mehr sagte als alle Worte.
    Als Selene ihre Halskette über den Kopf zog, um sie Ulrika zu geben, schüttelte diese den Kopf.
    »Nein, Mutter«, wehrte sie ab. »Das bist du.« Sie deutete auf den goldenen Ring. »Gib ihn dem Kind, das bald zur Welt kommen wird. Es wird

Weitere Kostenlose Bücher