Seelenglanz
vielleicht eher …«
»Suboptimal?«, half ich aus.
Jules lachte. »Entweder das oder einfach Mist.«
Ich konnte nur über sie staunen. Da offenbarte ich ihr meine Verbindung zu demjenigen, den sie selbst als Teufel, Satan und Beelzebub kannte und den sie für alles Schlechte in der Welt verantwortlich machte, und trotzdem verurteiltesie mich nicht. Sie nahm es einfach hin. Sosehr es mich überraschte, gleichzeitig versetzte es mir einen Stich, denn trotz allem hatte ich sie belogen: Ich war nicht geläutert.
Sie setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, als ich ein Geräusch hörte.
»Still«, flüsterte ich. »Da kommt jemand.«
Sofort klappte sie den Mund zu. Wir lauschten. Es dauerte nicht lange, bis ich gedämpfte Stimmen vernahm. Ich war mir nicht sicher, ob Jules sie ebenfalls hören konnte, denn meine Sinne waren um ein Vielfaches ausgeprägter als die eines Menschen, dann jedoch spürte ich, wie sich ihr Körper anspannte. Ich versuchte Schritte zwischen den Stimmen herauszuhören, und als es mir nicht gelang, wusste ich, dass es sich um Shandraziel oder zumindest seine Leute handeln musste. Kein Mensch konnte sich so lautlos bewegen.
Aber ich konnte es.
Ohne ein Geräusch zu verursachen, stand ich auf und ging zur Tür. Das Metall fühlte sich kühl auf meiner Haut an, als ich mein Ohr dagegenpresste, um besser hören zu können. Mein Blick wanderte zu Jules. Sie saß still da, den Blick starr in die Dunkelheit vor sich gerichtet.
»Siehst du was?«, drang von draußen eine Stimme an mein Ohr.
»Niemand hier.«
Es klang, als würden sich die Stimmen wieder entfernen, da rief der eine plötzlich: »Hier ist ein Vorratsraum!«
Stille folgte seinen Worten. Dann rüttelte jemand an der Tür. Jules zuckte zusammen, gab aber zu meiner Erleichterung keinen Laut von sich. »Abgeschlossen.«
Dosen und Gläser klapperten, das Scheppern von Töpfen war zu hören. Wahrscheinlich suchten sie nach dem Schlüssel. Nach einer Weile kehrte wieder Ruhe ein. Die Stimmen waren verschwunden und mit ihnen jedes andere Geräusch.Ich verharrte noch ein paar Minuten neben der Tür. Erst als ich sicher war, dass sie tatsächlich aufgegeben hatten, setzte ich mich wieder zu Jules.
»Wir bleiben noch eine Weile hier«, sagte ich sehr leise, dicht neben ihrem Ohr. Wenn die Kerle auch nur ein bisschen Verstand hatten, würden sie sich irgendwo verstecken und darauf warten, ob jemand aus der Kammer kam. Aber auch wenn Verstand nicht jedermanns Sache war, bestand noch immer die Gefahr, dass wir draußen durch Zufall auf sie stießen, wenn wir unser Versteck zu früh verließen. Immerhin war das Hotel groß. Es zu durchsuchen, würde einige Zeit in Anspruch nehmen.
»Vorhin wolltest du, dass ich dir mehr über mich erzähle«, sagte sie nach ein paar Minuten des Schweigens. Es erstaunte mich, dass sie darauf zu sprechen kam, nachdem sie mich beim Essen deutlich hatte spüren lassen, dass sie nicht darüber reden wollte. Vielleicht hatte es sie umgestimmt, dass ich ihr meine Geschichte – zumindest meine Variante davon – erzählt hatte. »Das fällt mir nicht leicht. Mein Leben lang habe ich meinen Vater gehasst, der uns im Stich gelassen und Mom in ein alkoholsüchtiges Wrack verwandelt hat. Ich kann mich kaum noch an die Zeit erinnern, als sie noch häufiger klar im Kopf war und wir noch gemeinsam das Haus verlassen und etwas unternehmen konnten. So lange ich zurückdenken kann, sehe ich sie immer nur mit einer Flasche oder einem Glas in der Hand.«
Ich streckte meine Hand nach ihrer aus, als ich jedoch ihre Finger berührte, rückte sie ein Stück von mir ab. Nicht weit, aber weit genug, um mir zu zeigen, dass sie im Augenblick keine Berührung ertrug.
»Ich habe so oft versucht, sie vom Trinken abzuhalten. Ich versuche es immer noch jeden Tag.« Sie klang so unbeteiligt und ausdruckslos, als würde sie über das Leben einerFremden sprechen, doch mir war klar, dass es um ihre Beherrschung geschehen wäre, wenn sie jetzt ihre Gefühle zuließe. »Für einen Entzug haben wir kein Geld, Selbsthilfegruppen verweigert sie. Stattdessen hat sie mir immer und immer wieder vorgespielt, wie sie sich angeblich bemüht trockenzubleiben. Anfangs bin ich darauf hereingefallen. Ich habe ihr geglaubt, wollte ihr so gerne glauben, aber dann habe ich immer neue Verstecke für ihre Flaschen gefunden. Wir waren so oft in der Notaufnahme, dass sie uns dort mittlerweile mit Namen begrüßen. Ganz egal was ich auch tue, es ist nie genug. Sie
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