Seelenglanz
Jules.
»Gleich.« Neben der Kühlkammer baumelte ein Schlüssel von einem Haken an der Wand. Ich griff danach und steckte ihn ins Schloss. Es klickte leise, als ich ihn herumdrehte. Rasch entriegelte ich die Tür und zog sie auf. Vor mir eröffnete sich ein rechteckiger Raum von vielleicht fünf oder sechs Quadratmetern. Die Wände zu beiden Seiten waren von Regalen gesäumt, die bis zur Decke reichten. Vorräte türmten sich darauf, doch es waren keine frischen Waren – nichts, das einer Kühlung bedurfte. Das Nächste, was mir auffiel, war die Temperatur. Es war kühl, ja, aber nicht gekühlt. Während die empfindlichen Waren in denschimmernden Hightechkühlräumen lagerten, war diese Kammer zu einem einfachen Vorratsraum umfunktioniert worden.
Ich suchte nach dem Lichtschalter und legte ihn um. Eine Neonröhre sprang summend an und warf ihr kaltes Licht auf die metallisch schimmernden Wände. In der Innenseite der Tür war ebenfalls ein Schlüsselloch. Ich probierte den Schlüssel aus, er passte und ließ sich problemlos herumdrehen.
Das war perfekt!
»Jules!« Ich winkte sie zu mir. »Hier rein!«
Zögernd kam sie näher, warf erst einen Blick in die Kammer und dann zu mir, als wollte sie fragen, ob das mein Ernst sei. Es war definitiv mein Ernst. Sobald sie drinnen war, folgte ich ihr, zog die Tür hinter mir zu und sperrte ab.
»Ein Kühlraum?« Sie sah sich um. »Bist du sicher?«
»Ein besseres Versteck werden wir nicht finden. Die Kühlung ist ausgeschaltet, die Tür hat kein Fenster, und die Wände sind mit Metall ausgekleidet.«
»Und das hilft uns?«
»Und ob.« Ich dachte kurz darüber nach, ob ich den Schlüssel in meine Hosentasche schieben sollte, entschied mich dann aber, ihn stecken zu lassen. »Metall behindert unsere Fähigkeiten. Solange die Tür abgesperrt ist, können sie uns nicht das Geringste anhaben. Hier sind wir erst einmal sicher.«
Jules lehnte sich gegen ein Regal. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Wir warten. Sobald ihnen klar wird, dass wir das Hotel nicht verlassen haben, werden sie alles auf den Kopf stellen.«
»Dann werden sie aber auch hierherkommen.«
»Und einen verschlossenen Raum vorfinden, von dem sie annehmen werden, dass einer der Köche den Schlüsselmit nach Hause genommen hat«, sagte ich mit zufriedenem Grinsen. »Dank des Metalls können sie sich weder hier reinversetzen noch sich dematerialisieren und durch die Wand gehen.«
»So etwas könnt ihr?«
»Das ist dieselbe Methode, mit der wir uns für Menschen unsichtbar machen.«
»Wie ein Geist?«
»Vermutlich nicht ganz unähnlich. Wir sind immer noch hier, bewegen uns aber auf einer anderen Daseinsebene.«
»Also gibt es Geister?«
Das interessierte sie mehr als meine Fähigkeiten? »Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als ihr Menschen euch vorstellen könnt.«
Jules gab sich damit zufrieden. Sie setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an ein Regal.
»Ich muss das Licht ausmachen. Sie könnten es unter der Tür sehen.« Ich legte den Schalter um. Glücklicherweise war die Dunkelheit für mich durchlässiger als für einen Menschen. Die Farben mochten tristen Grautönen gewichen sein, doch ich konnte immer noch genug erkennen, um den Weg zu Jules zu finden und mich neben sie zu setzen. Nicht ohne ein bisschen näher als eigentlich nötig zu rücken. Schulter an Schulter saßen wir da und lauschten schweigend in die Dunkelheit auf der Suche nach verdächtigen Geräuschen. Abgesehen von unseren eigenen Atemzügen und unseren Herzen, die in einem eigenartigen Gleichklang schlugen, war jedoch nichts zu hören.
Jules saß so dicht neben mir, dass ich ihre Körperwärme spüren konnte, ein angenehmes Gefühl, das mich sofort wieder an die Wärme erinnerte, die ihr Kuss in mir hervorgerufen hatte. Ich war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen. Meistens waren die Frauen, mit denen ich mich eingelassenhatte, Teil eines Auftrags, für die ich mich weder verantwortlich gefühlt noch etwas für sie empfunden hatte. Mich ihnen anzunähern geschah aus taktischen Gründen, und wenn dabei ein bisschen Bonus-Sex heraussprang – umso besser. Ich hatte nie das Interesse verspürt, jemanden näher kennenzulernen oder gar eine Beziehung einzugehen. Wozu auch, wenn ich nach Beendigung meines Auftrags ohnehin fortmusste? Umso eigenartiger fühlte es sich an, als mir klar wurde, dass ich mich tatsächlich für Jules interessierte. Es ging mir nicht nur darum, sie zu verführen, ich wollte mehr
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