Seelenglanz
nicht mehr.
Ein gellender Schrei aus ihrer Kehle ließ mich hochfahren. Ich brauchte keine Sekunde, dann war ich in ihrem Zimmer.
Shandraziel hatte sie gepackt. Einen Arm um ihre Taille geschlungen, den anderen um ihre Brust, hielt er sie wie einen lebenden Schutzschild vor sich.
Dieser elende Feigling!
Ich ließ das Eisschwert in meiner Hand entstehen. »Bringen wir es hinter uns«, forderte ich ihn auf. »Du und ich. Im Zweikampf.«
Er lachte. Schlagartig veränderte er seinen Griff, packteJules’ Kopf auf beiden Seiten und brach ihr mit einem Ruck das Genick. Leblos sackte sie in seinen Armen zusammen.
»Nein!«
Shandraziel, der ihren toten Körper noch immer festhielt, lachte nur noch mehr. »Jetzt gehört sie mir.« Dann verschwand er, und Jules’ Leichnam sackte zu Boden.
30
Ein grässlicher stechender und ziehender Schmerz durchdrang die Dunkelheit, die sich über ihr Bewusstsein gelegt hatte. In ihrem Nacken bewegte sich etwas, ein Gefühl, als würden sich Muskeln, Sehnen und Knochen verschieben. Ruckartig und dann wieder quälend langsam, begleitet von einem anhaltenden Knirschen. Sie schrie vor Schmerz und wollte sich winden, konnte sich aber nicht bewegen. Ihr Kopf hing schlaff zur Seite, nur von ihrem Fleisch gehalten, unter dem sich die Veränderung quälend langsam vollzog.
Sie konnte sich nicht erinnern, wer sie war und was sie in diesen Zustand versetzt hatte, doch aus irgendeinem Grund wusste sie, dass das, was mit ihrem Körper vor sich ging, gut für sie war.
Heilung.
Noch immer versuchte sie sich zu bewegen. Sie wollte aufspringen oder sich zusammenrollen und die Arme gegen den Kopf pressen, bis der Schmerz vorüberging, doch noch immer war sie nicht imstande, sich zu rühren. Es war keine Lähmung, wie sie zunächst angenommen hatte, die ihre Bewegungen verhinderte, sondern ein Paar starker Hände, das sie zum Stillhalten zwang.
Überrascht, nicht allein zu sein, öffnete sie die Augenund blickte einem Mann ins Gesicht. Die weichen Züge, in die sich harte Linien gegraben hatten, die von großer Sorge herzurühren schienen, waren ihr fremd. Doch da war etwas in seinen Augen, etwas an der Art, wie er sie ansah, was ihr vertraut vorkam.
Während die Knochen in ihrer Halswirbelsäule noch immer in Bewegung waren und sie gleichzeitig gegen den Schmerz und den Griff des Mannes ankämpfte, konnte sie nicht anders, als ihn anzustarren.
Er sprach zu ihr. Leise, beruhigende Worte, die zunächst nicht den geringsten Sinn ergaben, weshalb sie sich allein von seiner sanften Stimme tragen ließ. Immer wieder flüsterte er einen Namen. Ihren Namen?
Jules.
Ja, das war sie.
Daran erinnerte sie sich jetzt.
Er saß hinter ihr auf dem Boden, sie in seinen Schoß gebettet, und blickte zu ihr herab. Sobald sie aufhörte, sich gegen ihn zu wehren, lockerte er seinen Griff und hielt sie nur noch mit einer Hand fest, während er mit der anderen ihr Gesicht streichelte.
Ganz allmählich kehrte Jules’ Erinnerung zurück.
»Kyriel«, flüsterte sie und sah den Schmerz in seinen bernsteinfarbenen Augen, als sie seinen Namen aussprach.
Was war passiert? Sie waren nach Florida gefahren, um … um … O mein Gott! Shandraziel! Schlagartig war alles wieder da.
»Er hat mich umgebracht, oder?«
Kyriel schloss für einen Moment die Augen, als er sie wieder öffnete, war jedes Gefühl daraus gewichen, hatte einer erzwungenen Starre Platz gemacht. Er nickte.
Sie war kein Mensch, auch daran erinnerte sie sich jetzt wieder, sondern eine Nephilim.
»Ich bin wiedergeboren?«
Wieder nickte er nur, ohne etwas zu sagen.
Der Gefallene hatte ihr aufgelauert, als sie sich anziehen wollte. Der Druck seiner Hände an ihrem Kopf und das Knirschen und Knacken von Wirbeln, Knochen und Sehnen war die letzte Erinnerung, die sie an ihr Leben als Mensch hatte.
Der Schmerz in ihrem Hals und Nacken war mittlerweile zu einem leisen Echo abgeklungen. Vorsichtig drehte sie den Kopf zur Seite. Er ließ sich mühelos bewegen, und sie war auch imstande, ihn wieder aus eigener Kraft zu halten. Selbstheilung. Es hatte funktioniert!
Immer noch von der Erinnerung an den Schmerz verfolgt, setzte sie sich, von Kyriel gestützt, weiter auf. »Ich lebe. Mein Gott, ich bin wirklich am Leben!«
Das war wunderbar. Es war unglaublich! Aber warum freute Kyriel sich nicht? Die Qual in seinem Blick hatte nur kurz einem Anflug von Erleichterung Platz gemacht, als sie die Augen aufgeschlagen hatte. Jetzt war sie wieder da und schien auch
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