Seelenglanz
Kyriels Leben fürchten. Sein Körper war geheilt, doch das bedeutete nicht, dass er auch seine Kräfte zurückerlangt hatte. Wie lange konnte er in einem Kampf bestehen?
Nicht lange genug, wenn du hier weiter dumm herumstehst!
Von ihren eigenen Gedanken aufgeschreckt riss sie sich vom Anblick der Kämpfenden los, räumte die letzten beiden Schubladen aus und warf ihren Inhalt nach und nach in die Flammen, die sich knisternd über den Aktenberg ausbreiteten. Sie wollte sich hinter ein Regal zurückziehen, wie Kyriel es ihr gesagt hatte, als sie sah, dass die Flammen unter den Papiermassen zu ersticken drohten. Die Aktendeckel waren aus Pappe, die nur schwer Feuer fing, und Kyriel hatte an zu wenigen Stellen Feuer legen können, ehe er Akashiel zu Hilfe geeilt war.
Um das Feuer in Gang zu halten, fischte sie eine brennende Akte aus dem Stapel und setzte damit andere in Brand.Schritt für Schritt umrundete sie den Haufen, entzündete einen Brandherd nach dem anderen und sorgte dafür, dass die Flammen wuchsen und sich immer weiter ausbreiteten. Das Feuer leckte an der Akte in ihrer Hand und fraß sich immer weiter auf ihre Finger zu, bis es so heiß wurde, dass sie die Akte fallen lassen musste. Schnell hob sie eine andere auf, die bisher von den Flammen nahezu unberührt geblieben war, und benutzte sie als Anzünder.
Ihr war schon vorher heiß gewesen, jetzt jedoch, wo die Flammen unmittelbar vor ihr in die Höhe schlugen und sich immer weiter ausbreiteten, war es kaum noch zu ertragen. Die Hitze machte ihr das Atmen schwer, und der Rauch, der in immer dickeren Schwaden in die Luft stieg, würde es bald völlig unmöglich machen. Sie zog sich das T-Shirt über Mund und Nase, um sich zu schützen, ihre Lungen jedoch brannten trotzdem.
Dafür hatten ihre Bemühungen Erfolg. Das Feuer hatte mittlerweile beinahe den gesamten Aktenberg erfasst und schlug in einer flammend roten Wand in die Höhe. Jules umrundete den lodernden Stapel, bevor er ins Rutschen geraten und ihr den Weg abschneiden konnte, und blieb am Durchgang zur großen Höhle stehen.
Kyriel und Akashiel behaupteten ihre Stellung gegen die Gefallenen noch immer, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis der Ansturm sie weiter zurückzwingen würde. Sobald die Gefallenen in der Kammer waren, wäre es vorbei.
Kyriel hatte vorhin davon gesprochen, dass sie sich den Weg nach draußen frei schlagen würden, aber auch wenn Jules von ihrer Position aus nicht sehen konnte, wie viele Gefallene sich vor dem Portal drängten, bezweifelte sie, dass es ein Durchkommen gab.
Hinter ihr knisterten die Flammen, vor ihr erfüllten die Kampfschreie und das Zischen der aufeinanderprallendenWaffen die Luft. Jeder Laut hallte in unzähligen Echos von den Wänden und der Decke wider. Darunter mischte sich noch ein anderes Geräusch. Ein hoher Summton, als würde man mit dem Finger über den Rand eines halb gefüllten Wasserglases streichen.
Es war heller geworden.
Jules ließ ihren Blick durch die Höhle zu den Regalen wandern. Das Summen, das jetzt zu einem Chor aus unzähligen Stimmen angewachsen war, kam von den gefangenen Seelen, deren silbernes Licht unter dem anschwellenden Ton pulsierte. Hunderttausende strahlend weißer Lichtbälle, die sich in ihren Gefängnissen aus Glas ausdehnten und gegen die Wände drängten, bis die Deckel dem Druck nicht länger standhielten und ihren Inhalt freigaben.
Das Licht der aufsteigenden Seelen breitete sich immer weiter in der Höhle aus, so gleißend hell, dass Jules die Augen mit der Hand abschirmen musste.
Wie Sternschnuppen, die, statt zur Erde zu fliegen, in den Himmel zurückkehrten, stiegen unzählige strahlende Lichter nach oben, der Höhlendecke entgegen. Sie wankten durch die Luft, zischten hin und her, mal weiß, dann wieder silbern oder stahlblau schimmernd, als wollten sie ihre neu gewonnene Freiheit mit einem Freudentanz begrüßen. Und über alldem lag noch immer der hohe Summton, der sich jetzt mehr und mehr zu einer Melodie ausweitete, einer sanften Weise, die mal klagend und dann wieder aufgeladen von glockenheller Freude erklang.
Der Anblick, gepaart mit der Melodie, die die Luft ebenso erfüllte wie der Seelenglanz, war so unglaublich und wunderschön, dass es Jules die Tränen in die Augen trieb.
Atemlos und nicht fähig, ihren Blick abzuwenden, beobachtete sie die tanzenden Lichter. Es fiel ihr schwer, zu begreifen, dass es sich dabei um Seelen handelte, die Essenzverzweifelter Menschen, die sich
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