Seelengrab (German Edition)
Hellmann und blätterte in seinen Unterlagen. Schließlich reichte er Hirschfeld einen Ausdruck, der einen dunkelhaarigen Endvierziger zeigte.
„Du bist ja doch zu etwas zu gebrauchen“, meinte Hirschfeld.
Unterdessen war Kirchhoff von seinem Stuhl aufgestanden und ebenfalls an Hirschfelds Schreibtisch getreten. Zu dritt studierten sie die Fotos. Auf dem sechsten Bild wurden sie bereits fündig.
„Da ist er“, sagte Kirchhoff und tippte mit dem Finger auf den Monitor.
Jörg Winkler stand etwas abseits der anderen Trauergäste. Um seinen Hals hing eine digitale Spiegelreflexkamera.
„Das ändert natürlich die Sachlage entscheidend“, sagte Hirschfeld. „Ich bin gespannt, welche Erklärung uns Winkler für seine Anwesenheit auftischen wird.“
57
Steh unter der Dusche. Das Wasser läuft warm über meinen Körper. Bin ganz ruhig. Vergess alles um mich rum. Fühl nur den Sommerregen, der mich umhüllt. Die Tropfen perlen von mir ab und laufen in den Abfluss. Das schwarze Loch verschluckt alles Schlechte von mir. Saugt es ein und spült es weg. Könnte bis in alle Ewigkeit hier stehen. Die Wasserfäden beobachten. Mich nicht rühren und nur dem Flüstern des Wassers zuhören. Seif mir die Arme ein. Es schäumt und glitzert. Wie ein Regenbogen. Meine Finger bewegen sich über die Haut. Sie ist schön weich. Und glatt. Nur der Knöchel steht hervor. Dreh mich um und greif nach dem Wasserhahn. Als meine Hand den Knauf umschließt, fühl ich plötzlich ein Kribbeln in meinem Ohr. Ich steck den Zeigefinger rein und schüttel den Kopf. Doch es wird immer schlimmer. Jetzt kriecht es tiefer. Und ist verschwunden. Taste panisch meinen Hals ab. Nichts. Schau nach unten. Und seh etwas auf meinem linken Fuß. Es ist rund und bewegt sich unter meiner Haut nach oben. Ich schlag mit der Hand danach, doch es ist schneller. Als ich sie wegzieh, werden es immer mehr Wassertiere, die an mir hochkrabbeln. Fühl ihre kleinen Beinchen überall. Spring aus der Dusche und lauf nackt in die Küche. Reiß alle Schubladen auf. Dann blitzt es. Nehm ein Messer und schneid sie alle raus.
58
Eine altmodische Türglocke ertönte, als Kirchhoff Winklers Fotostudio betrat. Der Dreiklang erstarb im Geräusch eines startenden Motors: Die beiden Siegburger Zivilfahnder, die bis zu ihrer Ankunft die Observierung übernommen hatten, überließen den Kriminalhauptkommissaren das Feld.
Hirschfeld zog die Tür hinter sich zu und schaute sich um. Zu ihrer Rechten befand sich eine schmale Ladentheke. Dahinter reihten sich Bilderrahmen und Fotoalben in einem Regal. Links standen zwei Sessel und ein Beistelltisch, auf dem ein paar Mappen mit Probearbeiten lagen. An den Wänden hingen gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien im Großformat. Von den Bildern lächelten glückliche Brautpaare und eine hochschwangere Frau, die ihren runden Bauch stolz in die Kamera hielt. Das übliche Programm, dachte Hirschfeld gelangweilt.
„Herr Winkler?“, rief Kirchhoff und steuerte auf eine Tür gegenüber dem Eingang zu, vor der ein Perlenvorhang hing.
Die durchsichtigen Plastikperlen klackten leise aneinander, als sie den Durchgang passierten. Sie durchquerten einen schmalen Gang, der in einen mit schwarzen Stoffbahnen abgedunkelten Raum mündete. Auf der Stirnseite hing eine drei Meter breite Leinwand. Davor standen Blitzanlagen, Reflektoren und Scheinwerfer in verschiedenen Ausführungen. Neben einem Stativ mit einer Kamera waren zwei Lichtformer positioniert, die aussahen wie überdimensionierte Regenschirme und die das Studio diffus erleuchteten.
„Herr Winkler?“, wiederholte Kirchhoff, diesmal etwas lauter.
Ein hochgewachsener Mann Ende 40 trat aus einem Nebenraum. Sein dunkles, mittellanges Haar hatte er zurückgegelt. Er trug ein weißes Hemd im Knitterlook, das bis zur Mitte aufgeknöpft war und den Blick auf eine braun gebrannte glatt rasierte Brust freigab. Ein Goldkettchen am Handgelenk, Bluejeans und teure Lederschuhe vervollständigten das Bild des Playboys aus der Provinz, der sein wahres Alter gerne unter den Tisch fallen ließ.
„Haben Sie einen Termin?“, fragte er.
„Das könnte man so ausdrücken“, erwiderte Kirchhoff und zeigte seine Kriminalmarke.
Der Fotograf blieb auf halber Strecke stehen. Das selbstsichere Lächeln auf seinem Gesicht verwandelte sich in eine undurchdringliche Maske der Höflichkeit.
„Ich bin Kriminalhauptkommissar Kirchhoff und das ist mein Partner, Kriminalhauptkommissar Hirschfeld. Wir haben ein paar
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