Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Vergangenheit als Prostituierte glauben sollte, tendierte aber in diese Richtung. Seine Geschichte klang in sich schlüssig.
Auch daran, dass er nicht aus verschmähter Liebe immer wieder bei ihr aufgetaucht war, hatte sie keinerlei Zweifel. Ein Typ wie er würde keiner Frau hinterherlaufen und sich damit selbst herabwürdigen, auf keinen Fall. Außerdem glaubte Suna nicht, dass er seine Coolness nur gespielt hatte. Wäre er wirklich von der Idee besessen gewesen, Saskia zurückzubekommen, hätte er niemals so abfällig über sie geredet. Zumindest nicht, ohne durch seine Körpersprache zu verraten, dass er log.
Wenn er also wirklich die Wahrheit gesagt hatte, überlegte Suna weiter, stellten sich sofort zwei neue Fragen:
War es möglich, dass Jörn Christensen von der wenig schmeichelhaften Vergangenheit seiner Frau erfahren hatte und so darüber in Wut geraten war, dass er beschlossen hatte, sie umzubringen? Von Linda hatte sie immer wieder gehört, wie verliebt die beiden gewesen waren. Umso größer dürfte seine Enttäuschung gewesen sein, wenn er durch irgendeinen Zufall erfahren hatte, dass sie früher gegen Geld mit Männern ins Bett gegangen war. Er selbst war zwar an dem betreffenden Abend in Berlin gewesen, aber vielleicht hatte er jemanden angeheuert, die Drecksarbeit für ihn zu erledigen, während er ein unumstößliches Alibi von mehreren Hundert Leuten vorweisen konnte.
Suna hielt diese Theorie zwar für recht unwahrscheinlich, aber ganz ausgeschlossen war sie nicht. Ebenso wie die zweite Möglichkeit: Vielleicht hatte Saskia bei ihrer Arbeit als Hure irgendjemanden kennengelernt, den sie besser nicht gesehen hätte. Oder sie hatte irgendetwas gehört oder gesehen, weswegen sie für immer schweigen sollte.
Suna seufzte. Es gab Tausende von Möglichkeiten, was passiert sein könnte, und sie hatte keine Ahnung, wie sie weiter vorgehen sollte, um die eine, die stimmte, herauszufinden. Daher fasste sie einen Entschluss: Den Rest des Tages würde sie weiter an ihrem Versicherungsfall arbeiten, und gegen Abend würde sie versuchen, Saskias alte Freundin Tamara zu erreichen, die inzwischen in London wohnte. Wenn jemand wusste, ob Svoboda die Wahrheit über Saskias Vergangenheit gesagt hatte, dann war das am ehesten sie.
Ein nerviger Werbespot im Autoradio veranlasste Suna dazu, einen neuen Sender zu suchen. Eine schrille Kinderstimme wiederholte immer wieder den Namen einer Nudelmarke. Es war nicht zum Aushalten. Sie brauchte jetzt ein bisschen aufmunternde Musik, keine schnulzigen Balladen und schon gar keine Werbung mit aufdringlichen Jingles oder nervtötenden Wiederholungen. Doch beim dritten Sender, den der Suchlauf fand, hielt sie plötzlich inne.
»Ein grausiger Fund hält die Lübecker Polizei derzeit in Atem«, meldete die Sprecherin eines Lokalsenders mit angemessen betroffener Stimme. »In den Wallanlagen nahe der Puppenbrücke wurde am Morgen von einem Spaziergänger die Leiche von Susanne B. gefunden. Ein Sprecher der Polizei bestätigte gegenüber unserem Sender, dass die Dreiundfünfzigjährige einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist, wollte aber aus ermittlungstechnischen Gründen keine weiteren Angaben machen ...«
Suna stöhnte auf und stellte das Radio ganz aus. Das Letzte, was sie jetzt noch brauchte, waren weitere Tote. Sie versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren, aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.
Was, fragte sie sich, war nur aus ihrem ruhigen, beschaulichen Lübeck geworden?
*
»Jetzt sagt mir endlich, was ihr von mir wollt!«, brüllte Rüdiger Tenstaage die verspiegelte Glasscheibe an, hinter der er seine Entführer vermutete.
Am liebsten hätte er mit seinen Fäusten auf das Glas und gegen die Metalltür in der Wand getrommelt, bis die da draußen endlich nachgaben und ihn zumindest wissen ließen, aus welchem Grund er hier schon so lange festsaß. Doch seine Hände machten das nicht mehr mit.
Er wusste nicht, ob er sich die Fingerknochen oder einzelne Knochen in der Hand gebrochen hatte, oder ob er nur schwere Verstauchungen davongetragen hatte, als er immer wieder auf die Klappe und das Glas darüber eingeschlagen hatte, aber inzwischen waren seine Hände beinahe unbrauchbar geworden. Sie waren stark angeschwollen, die Haut schimmerte von den Blutergüssen in verschiedenen Farbtönen und strecken ließen sich die Finger gar nicht mehr. Er hatte gewaltige Schmerzen, wenn er nur sein Essen in den Mund stecken wollte, ganz zu schweigen vom
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