Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Aufdrehen der Mineralwasserflaschen, mit dem die Entführer ihn versorgten.
Trotzdem schaffte er es nicht, einfach ruhig zu bleiben und abzuwarten. Immer wieder trat er auf die Metallklappe ein, durch die sie ihn in sein Verlies geschafft haben mussten.
Sein einziger Weg in die Freiheit.
Inzwischen zeigte die Klappe deutliche Spuren seiner Tritte. Es hatte sich zwar noch keine richtigen Beulen gebildet, aber leichte Dellen, die seine Schuhe im Lauf der Zeit hinterlassen hatten, waren doch sichtbar. Wenn er nur lange genug weitermachte, würde er es vielleicht irgendwann schaffen, die Tür ganz aufzubrechen.
Aber seine Kraft ließ nach. Jeden Tag wurde er schwächer. Seine Tritte waren lange nicht mehr so kraftvoll wie am Anfang, und er hielt auch nicht mehr so lange durch.
Er taumelte rückwärts, bis er mit dem Rücken gegen die bis zur Decke gekachelte Wand stieß. Langsam ließ er sich nach unten rutschen. Der Boden fühlte sich kalt an, doch daran hatte er sich längst gewöhnt.
Wie lange war er jetzt hier eingesperrt? Zwei Wochen? Drei? Oder vielleicht noch länger? Er wusste es nicht.
Er blickte an die Wand gegenüber. Neben der Metallklappe zeichneten sich deutlich sieben dunkle Flecken an der Wand ab. Am Anfang hatte er noch versucht, ein gewisses Zeitgefühl beizubehalten. Bei jeder Mahlzeit, die sie ihm gebracht hatten, hatte er eine kleine Markierung aus Soße, Ketchup oder was sich sonst noch dazu geeignet hatte, an die Wand geschmiert. Zumindest über die Zahl der Tage, die er hier eingesperrt war, wollte er Bescheid wissen. Er wollte die Kontrolle behalten.
Doch nach der siebten Mahlzeit hatte er aufgegeben. Es brachte ihm ohnehin nichts. Er wusste ja nicht einmal, wie oft am Tag er etwas zu essen bekam und ob das überhaupt regelmäßig geschah. Die Abstände dazwischen kamen ihm immer unterschiedlich lang vor, aber vielleicht versagte auch einfach nur seine innere Uhr.
Sein Blick wanderte hinüber zur Ecke des Verlieses, die er am meisten hasste. Dort stand eine einfache Campingtoilette aus Kunststoff. In den ersten Stunden seiner Gefangenschaft hatte er sich beharrlich geweigert, sie zu benutzen. Er hatte gehofft, so lange auszuhalten, bis er wieder freigelassen wurde. Doch irgendwann hatte er seinen körperlichen Bedürfnissen nachgeben und sich auf die Toilette setzen müssen. Nicht die Benutzung an sich war für ihn unangenehm, sondern die Schmach, von seinen Entführern mit heruntergelassenen Hosen auf einer Plastikbox beobachtet zu werden.
Allein dafür hatten sie einen grausamen Tod verdient, und ihm fielen Dutzende Foltermethoden ein, die er nur zu gern an ihnen ausprobiert hätte.
Inzwischen war sein Schamgefühl allerdings nicht mehr das Hauptproblem. Es war vielmehr der beißende Gestank, der in der kleinen Kammer herrschte, und an den sich seine Nase wohl niemals gewöhnen würde. Die Campingtoilette war schlicht und einfach voll. Die chemische Lösung darin schaffte es nicht mehr, die Exkremente zu zersetzen. Und der Geruch, der jetzt aus der Plastikbox aufstieg, wurde von Tag zu Tag schlimmer. Daran änderte auch die kleine Öffnung in der Wand nichts, durch die der Raum mit Frischluft versorgt wurde.
Resigniert zuckte er die Achseln. Was sollte er machen? Er konnte nichts dagegen tun, außer den Gestank zu ertragen.
Als er auf das Handy sah, das zerschmettert neben der Toilette lag, wandte er den Blick schnell ab. Es war wie Hohn gewesen, dass die Entführer es ihm gelassen hatten, zusammen mit seiner Brieftasche.
Nachdem er in seinem Verlies zu sich gekommen war, hatte er natürlich sofort danach getastet. Eigentlich war er davon überzeugt gewesen, dass man es ihm abgenommen hatte. Doch zu seinem Erstaunen steckte es immer noch in seiner Manteltasche, und es funktionierte sogar noch.
Sofort hatte er die Nummer des Notrufs gewählt, aber er hatte keine Verbindung bekommen. Stundenlang war er danach durch sein Gefängnis gewandert und gekrochen, hatte jeden verdammten Ort des Raumes abgesucht. Er hatte das Telefon in jede Ecke gehalten, sowohl dicht am Boden als auch direkt unterhalb der Decke, die Augen immer konzentriert auf das Display gerichtet, ob irgendwo eine Verbindung angezeigt wurde. Aber ohne Erfolg. Seine Entführer mussten gewusst haben, dass er nirgendwo ein Netz finden würde, um Hilfe zu rufen. Vielleicht war der Raum sogar abgeschirmt.
Irgendwann hatte der Akku dann schlappgemacht. In einem Anfall aus Wut und Verzweiflung hatte Tenstaage das Gerät an
Weitere Kostenlose Bücher