Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
die Wand geschmettert, wobei es in mehrere Teile zerbrochen war.
Genutzt hatte ihm das nichts, trotzdem war das krachende Geräusch in gewisser Weise befriedigend gewesen.
Tenstaages Blick wanderte weiter zu der kleinen quadratischen Öffnung im Boden unterhalb der Metallklappe. Darunter war eine Art Schublade, durch die ihn seine Entführer mit seinen Mahlzeiten versorgten. Sie war gerade groß genug, dass eine Schüssel und zwei Wasserflaschen hineinpassten.
Eine Zeitlang hatte er überlegt, ob er das Essen einfach verweigern sollte. Wenn er immer schwächer wurde, würden diese Mistkerle da draußen ihn vielleicht aus seinem Verlies befreien.
Oder auch nicht.
Waren sie skrupellos genug, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen? Wenn er diese Frage hätte mit nein beantworten können, wäre ihm schon wesentlich wohler zumute gewesen. Aber leider konnte er das nicht.
Schließlich hatte sein Überlebenstrieb gesiegt und er hatte alles restlos gegessen, was sie ihm vorgesetzt hatten. Vielleicht wurden seine Entführer irgendwann unvorsichtig. Vielleicht bekam er eines Tages die Möglichkeit, einen von ihnen zu überwältigen. Dann brauchte er so viel Kraft wie möglich. In allen Einzelheiten malte er sich aus, was er dann mit dem Schwein machen würde. Und nur in einem Punkt war er sich sicher: Der Kerl würde das nicht überleben.
Er merkte, wie seine Wut ihm wieder mehr Kraft verlieh. Als er das vertraute Scharren der Schublade im Boden hörte, stemmte er sich vom Boden hoch und kroch zu der Öffnung, um auf sein Essen zu warten.
Egal, was es ihn kosten würde, er wollte lebend wieder aus diesem Verlies herauskommen.
*
Am Abend versuchte Suna Saskias Freundin Tamara in London anzurufen, bekam aber nur die Mitteilung ihrer aufgezeichneten Stimme zu hören, dass sie derzeit nicht zu erreichen sei. Suna legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Sie würde es einfach später noch einmal probieren.
Sie behielt den Hörer gleich in der Hand und wählte Rebeccas Nummer. Rebecca Lürssen war Roberts Zwillingsschwester und somit Sunas Ex-Schwägerin. Und abgesehen davon, dass die beiden Frauen sich trotz Sunas Scheidung immer noch ausgezeichnet verstanden, war Rebecca als Mitarbeiterin der Lübecker Staatsanwaltschaft eine fast unschätzbar wertvolle Informationsquelle. Wenn Suna in einem ihrer Fälle nicht weiterkam, half Rebecca ihr gelegentlich mit Ermittlungsakten weiter oder besorgte ihr Daten aus Quellen, an die Suna nicht so einfach herankam – ganz inoffiziell natürlich.
»Hallo, Suna, wie geht es dir?«, flötete Rebeccas weiche Stimme ins Telefon.
»Na ja, es geht so. Dein Bruder hat mir einen Fall aufs Auge gedrückt, der eine ganz schön harte Nuss zu sein scheint.«
Rebecca kicherte. »Das sieht ihm ähnlich. Ich nehme an, es geht um den Sprung von der Fehmarnsundbrücke? Davon hat er mir erzählt.«
»Sprung oder Stoß, das ist noch nicht ganz klar«, schränkte Suna ein. »Genau das versuche ich gerade herauszufinden. Meine Klientin glaubt jedenfalls nicht daran, dass ihre Schwester freiwillig von der Brücke gesprungen ist. Aber das nachzuweisen, ist natürlich ziemlich schwierig.«
»Ich nehme an, es gibt keinen Abschiedsbrief«, vermutete Rebecca.
Suna lachte freudlos auf. »So ist es, sonst wäre es ja auch zu einfach. Im Moment trete ich ein bisschen auf der Stelle. Außer sämtliche Bekannte der Toten zu befragen, kann ich kaum etwas tun. Ich versuche, mir ein Bild von ihr zu machen, wie sie war, mit wem sie zu tun hatte und so weiter. Und in dem Zusammenhang hatte ich mit einem Kerl namens Pavel Svoboda zu tun. Kennst du ihn?«
»Hmm«, Rebecca überlegte einen Augenblick. »Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Wenn du willst, höre ich mich mal um und melde mich dann wieder bei dir.«
Suna seufzte. »Das wäre wirklich lieb von dir. Bisher habe ich nämlich noch kaum Hinweise darauf, was wirklich mit Saskia Christensen passiert ist, außer dass ich ihre Mutter gefunden habe. Sie ist auch tot, und genau wie bei Saskia sieht es nach Selbstmord aus. Hast du davon gehört?«
»Noch nicht. Du glaubst gar nicht, was hier im Moment los ist. Alle sind völlig panisch wegen Susanne Baudelhoff.«
Suna erinnerte sich an die Radiomeldung, die sie auf dem Rückweg von Svobodas Wohnung gehört hatte. Darin war eine Susanne B. erwähnt worden. »Du meinst den Leichenfund an der Puppenbrücke? Die Frau, die man heute Morgen gefunden hat?«, vergewisserte
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