Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
Software-Test vertieft war, konnte das Haus rings um ihn herum zusammenbrechen, ohne dass er es bemerkte. Wenn man Glück hatte, ging er immerhin ans Telefon, aber selbst das war nicht sicher.
Es dauerte nicht lange, bis im Inneren des Hauses schwerfällige Schritte ertönten und die Haustür langsam geöffnet wurde.
»Frau Lürssen, das ist aber schön, dass sie mal vorbeikommen«, polterte eine tiefe Frauenstimme. Sie war so laut, dass wahrscheinlich im Umkreis von achtzig Kilometern sämtliche Wildtiere die Flucht ergriffen.
Suna schreckte kurz zurück, lächelte dann aber. Inzwischen sollte sie sich eigentlich an das gewaltige Organ ihrer ehemaligen Klientin gewöhnt haben. Als einen ihrer ersten Fälle hatte sie Uta Edelmanns verschwundenen Hund Rocco suchen sollen. Sie hatte ihn schließlich gerade noch rechtzeitig gefunden, bevor er elendig verendet wäre, von einem missgünstigen Nachbarn in einen Schuppen gesperrt, der sich in der Sommerhitze ordentlich aufgeheizt hatte. Die Witwe war überglücklich gewesen und hatte Suna sofort in ihr Herz geschlossen.
Dass ihre Einliegerwohnung gerade frei gewesen war, als Suna für Kobo eine Unterkunft gesucht hatte, war für alle besonderes Glück gewesen. Suna war die Sorge um Kobo los, Frau Edelmann hatte jemanden, den sie bemuttern konnte, und Kobo drohte weder zu verhungern noch völlig zu verwahrlosen, solange die Witwe sich um ihn kümmerte.
»Hallo Frau Edelmann.« Suna strahlte die stämmige Frau an und streichelte Rocco zur Begrüßung über den Kopf. Nachdem er sich seine Streicheleinheiten abgeholt hatte, drehte sich der betagte Rüde um und watschelte mit wedelnder Rute wieder langsam ins Haus zurück.
»Sie wollen sicher zu Goran«, vermutete die Witwe. Sie war die Einzige, die Kobo mit seinem richtigen Vornamen ansprach. »Er ist oben. Ich muss Sie aber warnen. Ich glaube, er ist nicht wirklich ansprechbar. Ich habe ihm vorhin etwas zu essen hochgebracht, das hat er glaube ich gar nicht bemerkt, obwohl ich den Teller direkt vor ihm auf den Tisch gestellt habe. Sie können ihn ja noch mal daran erinnern, dass er etwas essen soll, ja? Der arme Junge verhungert sonst noch.«
Eigentlich sollte der arme Junge mit Mitte zwanzig in der Lage sein, sich selbst zu versorgen, dachte Suna amüsiert, versprach aber, sich darum zu kümmern. Dann lief sie die Treppe zu seinen Räumen hoch. Die Wohnungstür stand wie immer offen. Ohne anzuklopfen, betrat Suna Kobos Wohnzimmer. Höflichkeiten oder Etikette hatte sie sich in seiner Gegenwart völlig abgewöhnt. Sie störten nur.
Kobo hing mit dem Rücken zu ihr in seinem Ledersessel vor dem Schreibtisch und hämmerte auf die Tastatur ein, die er vor sich auf den Oberschenkeln liegen hatte. Über den riesigen Monitor rannten und sprangen Figuren, die direkt einem Fantasyfilm entsprungen zu sein schienen. Sie kämpften mit absonderlichen Waffen gegeneinander und stießen dabei an rammelnde Meerschweinchen erinnernde Geräusche aus.
Kobos Füße lehnten auf der Schreibtischplatte zwischen Chipstüten, leeren Kaffeetassen und Donutpackungen. Daneben stand ein Teller mit Hühnerfrikassee, der immerhin teilweise leer gegessen war.
»Wenn Frau Edelmann dich nicht ab und zu mit vernünftigem Essen versorgen würde, würdest du irgendwann einen Zucker- oder Koffeinflash kriegen«, bemerkte Suna, nachdem sie neben ihn getreten war.
Kobo grunzte. »Is’ halt alles drin, was man braucht, um wach zu bleiben«, gab er zurück, ohne den Blick auch nur für den Bruchteil einer Sekunde vom Bildschirm abzuwenden.
Suna schob seine Füße vom Schreibtisch und legte Saskias Laptop auf die frei gewordene Stelle.
»Ich brauche hiervon alle Dateien, die in der letzten Zeit gelöscht worden sind, vor allem die E-Mails«, erklärte sie. »Kriegst du das hin?«
Mit dieser Frage brachte sie ihn sogar dazu, kurz zu ihr aufzublicken. Nebenbei schob er sich eine Gabel mit kaltem Hühnerfrikassee in den Mund.
»Soll das ein Witz sein?«, grummelte er kauend. »Für was hältst du mich, für einen Amateur?«
Suna lachte. »Bestimmt nicht. Ich wollte nur sichergehen, dass ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit habe.«
»Jaja, hast du.« Kobo wandte sich wieder seinem Spiel zu.
Einen Moment lang betrachtete Suna ihn. Mit seinen dichten dunklen Haaren, den ebenmäßigen Gesichtszügen und Wimpern, für die manche Frau einen Mord begangen hätte, war er einer der bestaussehenden Menschen, die sie kannte. Zumindest solange, bis er den Mund
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