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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Freundin Jula. Ich hatte sie unter einem mehr als fadenscheinigen Vorwand angerufen: Ich hätte da ein paar Bücher für sie – Hahaha! Da muss ich selber lachen. Die Wahrheit
ist, dass ich sie einfach wiedersehen wollte. Wir saßen also zusammen in dieser Kneipe und führten kluge Gespräche, und ich dachte dabei die ganze Zeit bloß, wie super es wäre, mit ihr ins Bett zu gehen. Bis zur Abfahrt des Zuges waren es noch zwei Stunden, und wenn ich nicht so ein Vollidiot wäre, hätte ich mit Leichtigkeit ein Hotelzimmer organisieren können. Aber das Problem liegt auf einer höheren Ebene. Die Sache ist nämlich so, dass ich längst verlernt habe, wie man mit normalen Mädchen umgeht. Ich kann recht gut den großen Macker rauskehren, wenn ich besoffen vor irgendeiner dummen Pute hocke, mit smartem Grinsen ihr dummes Geplapper über Boutiquen und Spa-Weekends abnicke, und eine kleine Nummer auf dem Klo, zwischen zwei Lines Koks, schiebe ich ohne jede Anstrengung. Aber mit einem Mädchen, das mir wirklich gefällt, und die nicht zur Szene gehört, ganz normal zu flirten, ihr vielleicht Blumen zu schenken, zum Essen auszuführen und so was, sie nach allen Regel der Kunst zu verführen, wie es jeder Normalo wahrscheinlich mit links hinkriegt, das kann ich einfach nicht. Ich gerate dabei sofort unter Stress, und wenn ich gar merke, dass ich für das Objekt etwas anderes empfinde als banalen Geschlechtstrieb, dann packt mich schlagartig so eine Totallähmung, dass ich aussehe wie Wolkows Eiserner Holzfäller.
    Um meine Aufregung zu kaschieren, fange ich sofort an zu bechern, quatsche wie ein Wasserfall, natürlich vor allem dummes Zeug, kichere und lache wie ein Pennäler, kurz, ich benehme mich wie der letzte Kretin. Der ich wahrscheinlich ja auch bin. Und so war’s auch dieses Mal. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich ausnahmsweise mal richtig
gut zu benehmen, aber dann fühlte ich mich unsicher, fing an herumzueiern und, zack – in kaum vierzig Minuten gelang es mir, mich randvoll laufen zu lassen. Sie war so liebenswürdig, mich rechtzeitig an die Abreise des Zuges zu erinnern, brachte mich zum Bahnhof und fuhr weg.
    Und als ich dann besoffen in mein Abteil stolperte, mit schmerzendem Schädel, stinksauer auf mich selbst und mit dem einzigen Wunsch, mich sofort hinzuknallen und zu pennen – was passiert da?
    »Guten Abend!«
    Oh ja! Ein beschissen guter Abend! Da liegt dieser alte Knacker und sieht mich fragend über seinen Brillenrand hinweg an, als ob ich ihm hundert Grüne schuldete. Wohlerzogen, wie ich bin, brumme ich zur Antwort »Guten Abend« und verfrachte meine neu erstandene wunderbare Filafor-Ferrari-Sporttasche in die Gepäckablage. Dann lasse ich mich auf den Sitz plumpsen, und prompt beginnt der Alte, mich mit allem möglichen Wortmüll zu bombardieren, völlig sinnfreien Sätzen wie »Wir fahren bald ab« oder »Sie können das Licht ruhig brennen lassen«. Klar, als würde ich dich erst fragen! Und er redet und redet, brabbelt monoton vor sich hin wie eine alte Tretnähmaschine. Das Interessanteste an seinem Gefasel sind noch die Ähs, Ahas und Nichtwahrs, die er permanent dazwischenflickt. Ich habe längst begriffen, dass ihm gar nichts daran liegt, mir etwas mitzuteilen, dieser alte Gauner will nur auf den Busch klopfen. Ich könnte mich ja verplappern, und er entlarvt mich auf einmal als ganz schlimmen Kriminellen, der sich in sein Abteil eingeschlichen hat, weil er ausgerechnet und ganz gezielt ihm seinen Reisegroschen klauen will.

    Endlich setzt sich der Zug in Bewegung. Der Alte versucht immer noch, mich in ein Gespräch zu verwickeln; ob man den Tee selber abholen muss oder nicht und lauter so einen Quatsch. Widerwillig lasse ich mich darauf ein. Nach einer Weile wird er sichtlich entspannter, und plötzlich fragt er mich:
    »Und fahren Sie auch nach Leningrad?«
    »Nein, ich fahre nach Wladiwostok«, antworte ich ganz ernst und spüre, wie es unter meiner Schädeldecke zu kribbeln anfängt. Idiotischer geht’s doch wirklich nicht mehr.
    »Ach ja?« Der Typ versucht in seinem Spatzenhirn die neue Information zu koordinieren. »Aber über Leningrad, ja?«
    »Ja, ja«, antworte ich wieder. Mit so einem geografischen Analphabeten, für den Petersburg und Wladiwostok an derselben Bahnlinie liegen, sollte man besser nicht streiten.
    Der Alte kommt ins Grübeln. Vor Anstrengung legt er seine Stirn in Falten wie ein Dackel und packt sogar seinen Schmöker weg. Unterdessen habe ich das

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