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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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weder Brot noch Fleisch angerührt. Schweigend nahm sie ihm beides aus den schlaffen Händen und legte es in den Beutel zurück. Dann kniete sie sich neben ihn und berührte ihn vorsichtig an der Schulter. Er zuckte zurück, riss die Lider auf und starrte sie benommen an.
    » Wir müssen weiter! « In den Tiefen seiner Silberaugen flackerte es. Darejan ergriff ihn wie zuvor beim Handgelenk und zog ihn vom Boden hoch. Er versuchte, sich gegen sie zu wehren. » Ich will dir helfen, verstehst du? Ich bringe dich nach Hause. « Sie fasste fester zu, beugte sich weiter zu ihm. » Verstehst du? «
    Sein Blick huschte zwischen den Bäumen umher, kehrte zu ihr zurück. » Nach Hause? « In den Worten schwang eine Mischung aus Verzweiflung und Hoffen. Im ersten Moment war sie über seine Reaktion beinah erschrocken, dann nickte sie rasch.
    » Ja, nach Hause.– Aber du musst mir sagen, wo dein Zuhause ist!– Verstehst du, was ich sage? Wo ist die Ordensburg der DúnAnór? Sie liegt in den GônCaidur, nicht wahr? « Sie fasste ihn bei den Schultern, schüttelte ihn leicht. » Wo ist das? Wie kommt man dort hin? «
    Erneut zerschnitten scharfe Linien seine Stirn. Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne, biss darauf herum, schüttelte den Kopf, wieder und wieder. Das Flackern war in seine Augen zurückgekehrt. Für die Dauer eines Atemzugs schien er nach Worten zu suchen, dann stieß er unvermittelt einen qualvollen Schrei aus, presste die Hände gegen seine Schläfen, sank zu Boden und krümmte sich vornüber. Darejan hatte ihn losgelassen und trat zurück. Es war sinnlos. Er konnte ihr nicht sagen, wo sich diese geheimnisvollen Berge befanden. Mehrere Augenblicke lang lauschte sie seinem leisen Jammern. Als es endlich verstummte, zog sie ihn abermals auf die Füße und zu dem wartenden Pferd hin. Ihr blieb keine Wahl. Sie mussten nach Rokan.

20
    E r stand im Halbschatten am Fenster des Laboratoriums und sah zu, wie der Rauch der Scheiterhaufen in den blauen Nachmittagshimmel über Kahel emporstieg. Seine Kräfte schwanden mit jedem Tag schneller, während dieser erbärmliche Körper immer mehr verging. Es gelang ihm kaum noch, seine Schwäche zu verbergen. Oder den Hunger zu beherrschen, der ihn zerfraß.
    Dieses Mal würde er keinen übrig lassen, der auch nur einen Tropfen Nekromantenblut in den Adern hatte. Es würde sich ihm niemand mehr in den Weg stellen. Auch die aufwieglerische Brut in der Lagunenstadt würde er zum Schweigen bringen.

21
    D arejan zügelte das Pferd und blickte in die Ebene hinab. Dort unten lag Rokan in der Nachmittagssonne. Selbst von hier aus konnte sie das Gebäude des Handelspalastes ausmachen, das im Zentrum der Stadt lag. Ganz aus weißem und blauem Adranár gebaut, glänzte es wie ein kostbares Juwel, eingebettet in die Pracht der ihn umgebenden Häuser. Auf den breiten Straßen, die speichenförmig aus allen Himmelsrichtungen darauf zuführten, drängten sich Handelskarawanen, die den Reichtum der Stadt mit jedem Tag mehrten. Sie beugte sich vor und klopfte dem müden Pferd den Hals. Die Ohren des Fuchses spielten vor und zurück. Offenbar hatte das Tier begriffen, was der Anblick der Stadt für es bedeutete: Ruhe, einen Platz in einem Stall und ordentliches Futter. Der Gedanke, dass es sich vielleicht darauf ebenso freute, wie sie sich nach einem heißen Bad und einer Nacht in einem richtigen Bett sehnte, entlockte ihr ein Lächeln. Allerdings hatte sie nicht vor, länger als zwei oder höchstens drei Tage in Rokan zu bleiben. Sie waren zwar seit jenem Zusammenstoß am Strand der BanNasrag weder einem der Grauen Krieger noch der Soldlinge ihrer Schwester begegnet, doch Darejan war sich ziemlich sicher, dass sie noch immer nach ihnen suchten.
    Hinter ihr setzte der Verrückte sich auf dem Pferderücken zurecht. Sofort versteifte sie sich. In den letzten vier Tagen hatte sich sein Verhalten verändert. Nicht, dass er sich ihr widersetzt hätte oder aggressiv geworden wäre. Nein! Aber Darejan spürte deutlich, dass er sie die ganze Zeit mit der immer gleichen Mischung aus Misstrauen und Feindseligkeit beobachtete. Der abwesende, leere Ausdruck stand dafür immer seltener in seinen Augen. Wären diese seltsamen Anfälle nicht gewesen, bei denen er die Hände gegen die Schläfen presste oder in seinen wirren Haarschopf krallte und sich vornüberkrümmte, wäre sie inzwischen fast davon überzeugt gewesen, dass er begriff, was um ihn herum vorging– vor allem nach dem, was vor zwei Tagen

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