Seelenriss: Thriller
auf ihrer Vespa Richtung Berlin-Mitte abbog und die Praxis von Matthias Reuter ansteuerte. In Gedanken bereitete sie sich schon auf das bevorstehende Gespräch vor, wobei es ihr schwerfiel, die nötige Distanz zu Matthias zu wahren. Lena bildete sich ein, genügend Professionalität zu besitzen, um sich lediglich auf Matthias’ Fähigkeiten als Kinderpsychologe zu fokussieren und dabei auszublenden, dass er einmal ihre große Liebe gewesen war. Bis heute war er der einzige Mann, dem sie in dem ihr möglichen Maß vertraut hatte. Niemand sonst kannte ihre Abgründe besser als er.
Obwohl der Kontakt nach ihrer Trennung abbrach, war Matthias nie ganz aus ihrem Leben verschwunden. Gerade so, als hätte ein Teil von ihm sie stets begleitet. Zuletzt waren sie sich eher zufällig auf dem Campus der Universität Köln über den Weg gelaufen. Lena hatte an jenem Tag einen Vortrag über angewandte Kriminologie gehalten, und Matthias ein neues Förderprogramm für Psychologiestudenten vorgestellt.
Lena war überaus erfreut gewesen, ihn zu sehen, auch wenn sie seine Einladung, im Anschluss noch einen Kaffee trinken zu gehen, voreilig ausgeschlagen hatte. Inzwischen war ihr zu Ohren gekommen, er sei verheiratet und habe zwei entzückende Kinder. Lena hatte immer davon geträumt, eines Tages eine eigene Familie zu gründen, doch Mutter Natur machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Also hatte sie ihr Leben der Jagd nach dem Bösen verschrieben. Auf dem Gebiet des Profilings galt Lena Peters bundesweit als die Beste, da ihr der Beruf zur Berufung und die Einsamkeit, die dieser mit sich brachte, zu ihrem ständigen Begleiter geworden war. Matthias hatte einmal halb im Scherz gesagt, sie benutze ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten als Flucht, um von ihren eigenen Problemen abzulenken, und inzwischen war ihr klargeworden, dass er damit nicht ganz unrecht gehabt hatte.
Der Feierabendverkehr staute sich, und Lena konnte von Glück reden, auf ihrer Vespa unterwegs zu sein, mit der sie sich zwischen den hupenden Blechkolonnen problemlos durchschlängeln konnte. Keine zwanzig Minuten nachdem sie bei Professor Wallau losgefahren war, erreichte sie Matthias’ Praxis in der Torstraße. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, jegliche Emotionen herauszuhalten, spürte sie Herzklopfen, als sich die Tür zum Sprechzimmer öffnete und Doktor Matthias Reuter seinen letzten Patienten aufrief. Er stand in Jeans und legerem Hemd in der Tür und wirkte mit seinen kleinen Grübchen und der charakteristischen Zahnlücke auf den ersten Blick noch immer wie der freundliche Lockenkopf von damals. Lediglich die graumelierten Schläfen deuteten darauf hin, dass die Zeit nicht stehengeblieben war. Die Verwunderung darüber, ausgerechnet Lena in seiner Praxis anzutreffen, stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.
Sie begrüßten sich mit einem vorsichtigen Kuss auf die Wange, und als sich ihre Lippen dabei um ein Haar versehentlich berührt hätten, bemerkte sie, dass Matthias errötete. Er bat Lena in sein Sprechzimmer, in dem eine Truhe mit Spielsachen und ein Kindertisch mit Wachsmalstiften standen. An den Wänden hingen Kinderzeichnungen und ein großer Tierkalender.
Es folgte der übliche Small Talk über alte Zeiten. Matthias stand mit überkreuzten Beinen an die Fensterbank gelehnt und lächelte Lena an. Das gleiche schelmische Lächeln wie früher, dachte sie, und einen Moment lang kamen Erinnerungen an längst vergessene Gefühle in ihr hoch. Beiläufig ließ Lena ihren Blick über die Familienfotos auf seinem Schreibtisch streifen.
»Es hat nicht funktioniert, ich bin inzwischen wieder geschieden«, erklärte Matthias, der ihrem Blick gefolgt war.
»Das tut mir leid, das wusste ich nicht«, sagte Lena, als sie bemerkte, wie er sich den Nacken rieb. Das tat er immer, wenn ihn etwas in Verlegenheit brachte, was in keinster Weise ihre Absicht gewesen war.
Sich räuspernd, sagte Matthias: »Wie ich dich kenne, bist du sicher nicht gekommen, um über alte Zeiten zu plaudern.«
Lena presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. Sie berichtete ihm von ihrem Besuch bei Professor Wallau und im Zuge dessen von den Ermittlungen zu den ominösen Selbstmorden, die sich als makaberes Spiel eines Killers entpuppt hatten. Dass der Killer ihr selbst ebenfalls eine Morddrohung gesandt hatte, verschwieg sie ihm.
»Dieser Wallau hält ziemlich große Stücke auf dich«, erzählte sie und lächelte Matthias an.
Ihr Exfreund schien von dem
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